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Provinzposse um Pagnol & Paris-Tipp für Leseratten

Unsere Streiflichter führen uns in dieser Woche nach Marseille und Paris: Über Provence-Kult-Autor Marcel Pagnol, dessen Enkel und den Bürgermeister-Zwist sowie über eine ebenso kultige Buchhandlung in Frankreichs Hauptstadt berichtet Azurblau-Chefreporter Rolf Liffers.

Ende der heilen Provence-Welt?

Pagnol
Am Friedhofsportal von La Treille, wo Pagnols weltberühmter dreiteiliger Roman „Eine Kindheit in der Provence“ spielt, erinnert dieses Konterfei an den berühmten provenzalischen Dichter und Regisseur. Foto: Rolf Liffers

Jahrzehntelang war Marcel Pagnol (1895-1974) das liebevoll gehätschelte Maskottchen der großen Stadt am Meer, in der er ab 1904 aufwuchs: Symbol, Synonym gar für das Lebensgefühl des Midi. Jetzt plötzlich sollen nach einem seit Monaten schwärenden Psychodrama alle Spuren des weltberühmten Dichters aus Marseille verschwinden. Das gilt insbesondere für das Schloss seiner Mutter (Château La Buzine), aus der autobiografischen Romantrilogie „Eine Kindheit in der Provence“. Pagnol hatte das pompöse Anwesen 1941 gekauft, um dort eine Filmstadt zu errichten – ein provenzalisches Hollywood sozusagen. Doch hatten ihm der 2. Weltkrieg und die Besetzung des imposanten Bauwerks durch die deutschen Truppen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Hintergrund der aktuellen Groteske ist ein erbitterter Zwist zwischen Pagnols Enkel Nicolas (50) und Marseilles Bürgermeister Benoît Payan (45). Auslöser des Kleinkriegs zwischen den beiden Streithähnen war der überraschende Rausschmiss des Alleinerben als Verwalter der Schlossanlage, die sein Grandpère Anfang der siebziger Jahre an einen Bauträger verkauft hatte und seit 2011 die „Maison des Cinématographies de la Méditerranée“ beherbergt. Seit 1995 gehört das Schloss der Hafenstadt.

Dem jungen Héritier, Vorsitzender des Trägervereins von La Buzine, war darob der Kragen geplatzt. Payans Erklärung, die Stadt wolle dort das „Centre de Culture Ouvrière“ (Arbeiterkulturzentrum) unterbringen, wies er als fadenscheinig zurück. In Wirklichkeit wolle die Stadt die Gebäude in eigene Regie übernehmen, um ihn loszuwerden und damit Geld zu sparen.

Ein Aufschrei des Entsetzens ging durch die Kommune, als der Geschäftsmann, der seine Jugend in Cagnes-sur-Mer (Alpes-Maritimes) verbrachte und mehrere Bücher über das Phänomen Marcel verfasste, wutschnaubend zurückschlug und Marseille kurzerhand für alle Zukunft jedwede namentliche Erwähnung seines Großvaters untersagte. Zugleich startete er eine Petition, die von 60.000 Unterstützern gezeichnet wurde.

Im Rahmen der „Pagnolade“ kam es unterdessen zu gegenseitigen und zum Teil ehrverletzenden Verunglimpfungen. Auf dem Höhepunkt einer Serie von drastischen Verbalinjurien entzog der gefeuerte Abkömmling des volkstümlichen Schriftstellers und Filmemachers der Metropole schließlich jegliche Vermarktungsrechte, gleich ob zur kulturellen oder zur touristischen Imagepflege. Zitat Pagnol: „Fürderhin wird es in Marseille von meinem Großvater kein Plakat mehr geben, kein Portrait und natürlich auch keinen Film – alles, was an ihn auch nur im entferntesten erinnert, wird verschwinden.“

Um die Provinzposse im kommunalpolitischen Mikrokosmos noch anzuheizen, hat Pagnol auch das geplante Fest zum 50. Todestag seines Altvorderen gestrichen, das 2024 auf La Buzine ganz groß gefeiert werden sollte. Lachende Dritte sind kleine Umlandgemeinden wie Aubagne, wo Marcel Pagnol zur Welt kam, La Treille, wo seine „Kindheit in der Provence“ spielt, und Allauch, die nun ihrerseits Schauplatz von Feierlichkeiten werden sollen.

Alle innerhalb der Stadtmauern vorhandenen Hinterlassenschaften des Ahnen werde er beim Verlassen von Buzine mitnehmen, kündigte der kochende Enkel an. Sein Opa werde damit nicht länger Aushängeschild der Stadt sein können. Zugleich verklagte er das erst seit drei Jahren regierende Stadtoberhaupt sowie mehrere seiner Dezernenten wegen Beleidigung und Verleumdung, weil „der erste Magistrat“ und seine Leute unter anderem unterstellt hätten, Buzine sei nie das Schloss seiner Urgroßmutter gewesen. Der Nachkömmling habe die Geschichte einzig zur „Mystifizierung“ des von einem riesigen Ökopark umgebenen Gemäuers frei erfunden. Wahr ist sicher, dass Pagnols Uroma solche Angst vor dem gewaltigen Gebäudekomplex hatte, dass sie ihn nicht betreten wollte.

Pagnol jun. entrüstet: „Ich werde nicht zulassen, dass der Ruhm meines Opas von Payan wie ein Schuhabtreter beschmutzt wird.“

Vincent, einer der Nachkommen des berühmten Marcel-Freundes Fernandel, solidarisierte sich: „Wer Pagnol an die Luft setzt, kann genauso gut die Kathedrale Notre Dame de la Garde sprengen und durch ein Teehaus ersetzen.“

Die oppositionelle Rechte im Stadtparlament ereiferte sich, das rote Rathaus unter dem sozialistischen Maire versuche, „auf kaltem Wege die kommunistischen Säuberungen wiederzubeleben“.

Regionalpräsident Renaud Muselier brachte den überschäumenden Nicolas Pagnol am Rande einer Party sogar diskret mit Staatspräsident Emmanuel Macron zusammen. Jedoch: Über den Inhalt der Begegnung wurde nichts bekannt.

Marcel Pagnol, Sohn eines Grundschullehrers und einer Schneiderin aus dem kleinen Aubagne im Weichbild von Marseille, hatte nach seiner Schulzeit Literaturwissenschaften in Aix-en-Provence studiert. Seit 1946 war er Mitglied der hoch renommierten Académie française. Seinen Durchbruch markierten ab 1928 zunächst die eigenen Theaterstücke. Vom Rückenwind des Erfolgs getragen, wandte er sich dann der Verfilmung seiner literarischen Werke zu, von denen etliche zu französischen Kinoklassikern wurden.

Bereits 60, begann Pagnol in La Treille, seine Jugenderinnerungen niederzuschreiben, durch deren Romanveröffentlichung er auch international bekannt wurde. Der Dreiteiler „Eine Kindheit in der Provence“ („Der Ruhm meines Vaters“/“Marcel und Isabelle“/“Das Schloss meiner Mutter“) ist seit Jahrzehnten Standardlektüre an Frankreichs Schulen, wodurch seine Popularität bis heute ungebrochen ist.

"Shakespeare and Company": Deutsche Bücher? Will keiner!

"Shakespeare and Company"
Bis zu tausend Touristen aus aller Herren Länder stehen täglich geduldig Schlange, um im nostalgischen Ambiente der legendären Pariser Buchhandlung "Shakespeare and Company" nach Büchern zu suchen, die - wenn schon nicht Shakespeare - zumindest Hemingway, Joyce oder Fitzgerald in Händen gehalten haben könnten. Fotos: Rolf Liffers

Ungebrochen ist bis heute auch die geradezu magnetische Anziehungskraft der kultigsten Buchhandlung von Paris – „Shakespeare and Company“. Dabei ist sie nicht einmal das Original.

Touristen aus aller Welt – bis zu tausend täglich – stehen sich hier an der Rue de la Bûcherie im Quartier Latin ganzjährig die Beine in den Bauch, um ein wenig von der Luft zu schnuppern, die vor ihnen schon junge und später weltberühmte Literaten geatmet hatten: F. Scott Fitzgerald, James Joyce, Ernest Hemingway, T.S. Eliot, die der literarischen „Lost Generation“ der Zwischenkriegszeit zugerechnet werden; Gertrude Stein nicht zu vergessen. Dabei sind sie alle nie hier gewesen, sondern in Wirklichkeit in dem 1919 gegründeten Buchladen der US-Amerikanerin Sylvia Beach an der Rue de l’Odéon, dessen eingeführter Firmenname nach ihrem Tod und zu ihren Ehren von der erst 1951 gegründeten Buchhandlung „Le Mistral“ übernommen worden war, vor dem heute die Menschen Schlange stehen.

Nach der Besetzung von Paris durch die deutsche Wehrmacht hatte Beach ihr Geschäft geistesgegenwärtig geschlossen, um einer Plünderung oder Enteignung zuvorzukommen. Und die war umso wahrscheinlicher, als sie sich vorher geweigert hatte, einem deutschen Offizier ihr Exemplar von Joyces „Finnegans Wake“ zu verkaufen. Zwar kam die häufige Präsenz des US-Soldaten Hemingway 1944 einer symbolischen Befreiung gleich. Wieder aufgemacht wurde die Buchhandlung trotzdem nicht.

Dafür traf sich in den fünfziger Jahren im „Mistral“ die „Subkultur“ der Beat Generation. Schriftsteller wie Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti und William S. Burroughs begegneten sich zwischen den Buchrücken. Auch Henry Miller war Stammkunde.

In dem amerikanischen Spielfilm „Before Sunset“ von 2004 schließlich treffen sich Jesse und Celine beim „neuen“ Shakespeare. Auch für Woody Allens Spielfilm „Midnight in Paris“ und Spike Jonzes Kurzfilm „Mourir auprès de moi“ (beide 2011) diente die bis heute demonstrativ nostalgisch gehaltene Buchhandlung als Kulisse.

Zurück zu uns von azurblau.fr: Endlich werden auch wir von einem Türsteher ins Mekka des geschriebenen Wortes vorgelassen. In den schwer tragenden Regalen sehen wir am laufenden Meter internationale Literatur, übrigens auch aus der Feder von Provence-Dichtern wie Marcel Pagnol, Frédéric Mistral und Jean Giono.

Schließlich die Frage ans Gewissen: Haben Sie auch deutsche Bücher? Die Antwort der durchaus freundlichen Mitarbeiter ist klipp und klar: „Deutsche Literatur? Wird bei uns praktisch nie verlangt.“ Und: „Für die paar deutschen Bücher, die wir haben“, habe sich „eine eigene Rubrik nicht gelohnt“. Könne aber sein, dass die eine oder andere Ringeltaube „irgendwo dazwischen“ steht. Wir suchen im Heuhaufen. Vergeblich. Schließlich geben wir auf…

Übrigens...

Catherine Deneuve
Catherine Deneuve im Jahr 2017. Archivfoto: Martin Kraft, MJK34599 Catherine Deneuve (Sage Femme, Berlinale 2017), CC BY-SA 3.0

Anlässlich des 80. Geburtstags der „Königin des französischen Kinos“ (wir berichteten am 29. Oktober in dem Streiflicht „In Nizza war sie in Truffaut verliebt“) haben Sofilm und der Verlag Marabout der Filmschauspielerin Catherine Deneuve ein Buch („Es war einmal Deneuve“) gewidmet, das ihren Werdegang nachzeichnet. Es enthält laut Verlag auf 256 Seiten „Bonmots, bislang unveröffentlichte Interviews und Enthüllungen“.

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