Hinter den Kulissen der friedensbeseelten Feierlichkeiten der westlichen Welt zum 80. Jahrestag der alliierten Landung an den Stränden der Normandie ist ein regionaler Kleinkrieg ausgebrochen. Gegenstand des Streits zwischen zwei verfeindeten Lagern: Die einen wollen aus der Erinnerung an die größte Militärinvasion der Weltgeschichte weiter Kapital schlagen. Die anderen finden, die Geschmacksgrenzen, das historische Ereignis mit seinen Zehntausenden von gefallenen Soldaten kommerziell auszuschlachten, drohten endgültig überschritten zu werden. Die Rede ist von einer „Disneylandisierung einer Kriegskatastrophe“. azurblau.fr-Reporter Rolf Liffers sah sich vor Ort um und fand ganze Dörfer, die in der Tat bis heute vom nahenden militärischen Untergang des sogenannten Dritten Reiches leben. Seine Fotos sprechen für sich…
Kitsch as Kitsch can: In einigen winzigen Dörfern der Normandie, die nicht einmal über ein Café verfügen, gibt es manchmal mehrere „Military-Shops“ – Dort werden so „reizende“ Erinnerungsstücke feil gehalten wie Original-Stahlhelme von mutmaßlich gefallenen Soldaten (vorzugsweise mit Einschussloch und gern für 200 oder 300 Euro das Stück), Stahlhelme im Miniaturformat als Spardosen „verkleidet“, oder alte US-Dollars (für zwei Euro), Rasierapparate (nebst Blättchen), Hinterlassenschaften von wahrscheinlich getöteten GIs, ebenso Ordensspangen und Einheitsabzeichen, Fotos von deutschen Landsern, Briefmarken mit Konterfeis des „Führers“, Hakenkreuzen und Kriegsheroen, deutsche Soldatenpapiere und Skulpturen von lebensgroßen Soldatentrupps, die gerade einen Bahnhof stürmen, bei dem es sich tatsächlich längst um einem Andenkenladen handelt. Fotos: Rolf Liffers
Entbrannt ist die aktuelle Kontroverse zwischen den Gegnern einer in der Normandie geplanten Hightech-Show über die Befreiung Westeuropas von Nazideutschland („Normandy Memory“). Sie wird auf Bürgerversammlungen, in Lokalmedien, durch Mahnwachen und unter Historikern ausgetragen. Die gewinnorientierten Investoren verteidigen sich, so bleibe die Erinnerung an den D-Day lebendig. Die Kritiker sehen in dem Projekt, das 2026 gestartet werden soll, eine zynische Geschäftemacherei. Gedacht ist an eine Multimediaschau in einer Industriebrache in der Nähe von Caen vor je tausend Zuschauern, bei der eine Tribüne auf Schienen 400 Meter durch die Bühnenbilder bewegt werden soll, auf der Schauspieler vor Großbildleinwänden die Schlacht mit allen möglichen Spezialeffekten – Bombendonner, Licht und Rauch – „naturgetreu“ nachstellen. Den Geldgebern ist das Spektakel nach eigenen Angaben 100 Millionen Euro wert, die sich bei den erwarteten 600.000 Zuschauern jährlich und mittleren Eintrittspreisen von 28,50 Euro schnell amortisieren sollen.
Bekanntlich waren am Morgen des 6. Juni 1944 vom Ärmelkanal her 155.000 Soldaten an den normannischen Gestaden gelandet – Briten, US-Amerikaner, Kanadier. Die folgende Schlacht dauerte fast drei Monate und kostete 300.000 alliierte und deutsche Soldaten das Leben. Und daher finden viele abstoßend, dass mit dem Blut der Opfer Geld gemacht werden soll. Die gefallenen Helden würden so zu Geschäftsobjekten degradiert.
Tatsächlich ist die “Disneylandisierung” der Invasion schon lange gang und gäbe. Der „blutige“ Küstenstreifen gleicht einem Jahrmarkt. Man kann sich GI-Uniformen leihen, in alten US-Jeeps organisierte Schlachtfeld-Rundfahrten machen. Ob japanische oder niederländische Touristen – alle „genießen“ mit teilweise sichtbarem Vergnügen Battlefield-Tours oder bauen mit eigenen Händen ein Armeecamp auf. Danach erholt man sich bei einem D-Day-Bierchen.
5,5 Millionen Besucher zählen inzwischen die alten Kriegsschauplätze der Normandie in zwölf Monaten, und es werden jährlich mehr. 44 Museen zum Thema Landung gibt es in der Region. Dort kann man virtuell durch Ruinen wandeln, sich am Lärm von Bomben und Explosionen weiden. Boutiquen strotzen vor Kitsch. Ja, sogar eine D-Day-Edition von Monopoly wird feilgeboten.
Indessen: Auf den Soldaten-Friedhöfen herrscht „Gottseidank noch Ruhe“, hat Liffers festgestellt. Und: Von Feindseligkeit deutschen Touristen gegenüber so gut wie nichts (mehr) zu spüren.
Hier noch zwei Zitate aus der Gedenk-Rede von Staatspräsident Emmanuel Macron: „Der D-Day (Decision-Day, Anm.d.Red) ist ein Tag, der nie enden wird“ und „Wir alle heute sind Kinder der Landung“.
Das Dörfchen Sainte-Marie-du-Mont nimmt für sich in Anspruch, nach heftigen Kämpfen zwischen amerikanischen und deutschen Soldaten im Glockenturm der örtlichen Kirche am 6. Juni 1944 als erste Gemeinde von deutschen Wehrmachtssoldaten „gesäubert“ worden zu sein. Hier steht auch ein Denkmal, das an die Partisanen der Résistance erinnert. An Hausfassaden zeigen (wetterfeste) Fotos vom 6. Juni siegreiche Soldaten der 4. US-Infanterie-Division (auf dem Dorfplatz und vor dem umkämpften Gotteshaus), am Schloss: Schilder mit stilisierten Fallschirmjägern. Eine Straße ist nach dem Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, US-General Dwight D. Eisenhower, benannt. Fotos: Rolf Liffers