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Schriftstellerin Françoise Sagan. (Foto Mitte: gettyimages.it, Domaine public, https://commons.wikimedia.org)

„Charmantes kleines Monster“: Erinnerungen an wilde Jahre in Saint-Tropez

Jetset und süßes Leben – das sind die Assoziationen, die einem beim Namen Françoise Sagan zuerst in den Sinn kommen. Mit ihrem in Saint-Tropez spielenden Debütroman „Bonjour tristesse“ war das damals erst 19-jährige „charmante kleine Monster“ (François Mauriac) über Nacht weltberühmt geworden. Wenig später, 1957, hatte Otto Preminger die Story in Le Lavandou (Departement Var) verfilmt – in Starbesetzung mit David Niven, Jean Seberg, Deborah Kerr, Juliette Greco und Mylène Demongeot in den Hauptrollen. Danach schrieb die verhinderte Literaturstudentin noch weitere rund 40 Bücher und zehn Theaterstücke. Von Rolf Liffers.

Auf der Welle des Erfolgs geriet die Tochter aus einer bürgerlich-katholischen Industriellenfamilie jedoch immer stärker auf die schiefe Ebene. Wegen Steuerhinterziehung vorbestraft, verschuldet und von Drogenexzessen ruiniert, ist die Schriftstellerin vor 20 Jahren mit 69 Jahren gestorben, nach einem (Zitat Sagan:) „ebenso angenehmen wie verpfuschten Leben“.

„Bonjour tristesse“ – eine für heutige Maßstäbe völlig harmlose Geschichte, in der ein Teenager während der Sommerferien am Mittelmeer die Geliebten ihres Vater madig macht – hatte die jugendliche Autorin in nur drei Wochen hingeworfen und mit ihren offenherzigen Schilderungen unversehens einen handfesten „Sittenskandal“ ausgelöst. „Verruchtes“ Textzitat: „Wir machten Indianerspiele auf dem Sand und im Fichtenwald. Er holte mich vor dem Haus wieder ein, stürzte sich mit Siegesgeschrei auf mich, fesselte und küsste mich.“

Diese alten Fotos mit Jean Seberg, die 1957 bei den Dreharbeiten zu „Bonjour tristesse“ in Le Lavandou entstanden, hat uns der Kulturbeauftragte der Gemeinde, Raphael Dupouy, zugänglich gemacht. Fotos: Edward Quinn, Lionel Kazan, DR

In Le Lavandou, auf der Pointe de la Fossette und am gleichnamigen Strand, verfilmte 1957 Otto Preminger Françoise Sagans Debütroman „Bonjour tristesse“. Repro: Rolf Liffers

Auch die später auf dem privaten Anwesen des Medienmoguls Pierre Lazareff gedrehten „delikaten“ Liebesszenen auf der Pointe de la Fossette, oberhalb des gleichnamigen romantischen, kleinen und weißen Sandstrandes in Le Lavandou eckten wieder an. Doch unterm Strich ernteten Buch und Film mehr hymnische Kritiken als moralinsaures Naserümpfen. Heute wird „Bonjour tristesse“ als Vorbote der Nouvelle Vague bewertet.

„Kinder von Marx und Coca-Cola“ hatte Filmregisseur Jean-Luc Godard die rebellische Jugend der Sechziger genannt. In der Tat darf Françoise Sagan als Vorläuferin dieser Generation gelten, „nur eben mit weniger Marx, mehr Cola beziehungsweise Champagner, plus Drogen – Saint-Tropez und ein Bild von Freiheit wie in der Cabrio-Werbung“, schrieb der Filmkritiker Rainer Gansera, als Sagans Lebensgeschichte („Avec mon meilleur souvenir“) 2008 in die Kinos kam.

Apropos Cabriolet: 1955 konnte man die mit dem französischen Kritikerpreis geadelte Lady mit ihrem Bruder Jacques in einem offenen Jaguar XK140 die Hafenpromenade des Fischerdorfs entlangschweben sehen. Kaum hatten sie an der Rue des Pêcheurs im Viertel La Ponche ein Haus gemietet, etablierte sich um sie herum in der nahen Bar La Ponche eine ausgelassene Künstlerclique („Bande Sagan“), zu der auch Juliette Gréco und Roger Vadim gehörten, dessen Kultfilm „Und immer lockt das Weib“ mit Brigitte Bardot und Curd Jürgens 1956 anlief. Als die Bar zwei Jahre später zum Hotel mutierte, wurde Françoise Sagan dort Stammgast, für die während aller folgenden 25 Sommer das Zimmer Nummer 1 reserviert blieb, bis ihre Gesundheit das Reisen nicht mehr zuließ.

In ihren bei Gallimard erschienen Memoiren verabschiedete sich die Millionenautorin 1984 von ihrer „Cité du Bailli“, wo sie auch „Ein gewisses Lächeln“, “Lieben Sie Brahms“ und „La Chamade“ („Herzklopfen“) zu Papier gebracht hatte, mit einer hoch emotionalen Liebeserklärung.

Zerknitterte Zeitungsausschnitte von 1955 (aus der Sammlung Liffers): Françoise Sagan mit 19 in Saint-Tropez und bei einem Bootsausflug (stehend: Juliette Gréco). Repro: R.L.

Souvenirs – das sind auch Erinnerungen an die Nächte im Tanzschuppen „L’Esquinade“, an die wilde Party aus Anlass ihrer Volljährigkeit (1956) und an ihre ausgelassene Geburtstagsfeier 1963 auf der Yacht des austroamerikanischen Produzenten Sam Spiegel, der mit seinen Hollywoodfilmen 23 (!) Oscars eingeheimst hatte (er persönlich erhielt „nur“ vier). Mit an Bord (um nur einige zu nennen): Romy Schneider, Gilbert Bécaud, Zizi Jeanmaire, Gunther Sachs. Nicht zu vergessen die unzähligen Cha-cha-cha-Soirees, bei denen ihr berüchtigter mit Zitronensaft und Zucker versetzter „Whisky Sour“ in Strömen floss.

Als Françoise Sagan 2004 in Honfleur starb, trauerten um sie viele prominente Freunde. Darunter François Mitterand, dem sie sehr nahe stand, Johnny Hallyday, für den sie Liedtexte schrieb, und ihre wahrscheinlich engste Vertraute, Peggy Roche, frühere Frau des Schauspielers Claude Brasseur.

Übrigens

Ihren Künstlernamen hatte Françoise Sagan nach der Prinzessin von Sagan gewählt, einer Romanfigur von Marcel Proust.

Und noch was: „Laura“, Premingers „Film noir“ von 1944, wird am 26. Februar von dem deutsch-französischen Fernsehsender „arte“ ausgestrahlt.

Fotos im Titelbild: Rechts: Aus Anlass ihres 20. Todestages macht der deutsche Literaturkalender des Arthesia-Verlags  („edition momente“) in diesem Jahr mit der Schriftstellerin Françoise Sagan (1935-2004) auf. Statt fürs bereits einmal vergeigte Abi zu büffeln, hatte die 17-jährige Schülerin 1952 in Paris ihren in Saint-Tropez spielenden Debütroman „Bonjour tristesse“ geschrieben. Niemand ahnte, dass sich der später in 22 Sprachen übersetzte Weltbestseller bereits in den ersten fünf Jahren nach Erscheinen (1954) vier Millionen Mal würde verkaufen lassen. Repro: R.L.

Links: Auch das Buch „Avec les écrivains du siècle“ aus der Reihe „Les trésors des archives“ des Paris-Match-Verlags titelt mit der 17-jährigen Sagan, die ihren Erstlingsroman „Bonjour tristesse“ in nur drei Wochen in die Maschine tippte. Repro: R.L.

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