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Mit 84 Jahren voll fit zeigte sich der hochdekorierte Filmregisseur Volker Schlöndorff aus Babelsberg am letzten Wochenende im fast voll besetzten Benoite-Groult-Raum des Parkhotels in Hyères-les-Palmiers seinem französischen Publikum. Mit ihren vielen Fragen entlockten ihm die Zuhörer manch heiter-besinnliche Anekdote. Die Gespräche verliefen umso lockerer, als der "réalisateur" fließend französisch spricht. Foto: Rolf Liffers

Treff mit Oscar-Gewinner Schlöndorff in Hyères

Letztes Wochenende hatte der Filmklub von Hyères-les-Palmiers, „Ciné-feel“, im Rahmen seines „Young Cinema“- Festivals wieder einen – wie es hieß – „großen europäischen Regisseur“ zu Gast: Diesmal den deutschen Volker Schlöndorff („Der junge Törless“, „Baal“, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Die Blechtrommel“, „Eine Liebe von Swann“). Ob Oscar, Goldene Palme, César, Goldene Filmbänder, Goldene Kamera – er hat so ziemlich alles abgeräumt, was die internationale Filmwelt an Preisen zu vergeben hat. azurblau-Chefreporter Rolf Liffers nutzte die Gelegenheit zu einem Interview vor Ort, das wir nachfolgend wiedergeben.

Ihre zahlreichen französischen Bewunderer haben Sie in Hyères viel nach Ihrer Vergangenheit befragt, aber mit keinem Wort nach Ihren Zukunftsplänen. Haben Sie keine?

Oh doch. Sogar ganz aktuelle. Noch im Laufe dieser Woche bekomme ich das endgültige Drehbuch für meinen nächsten größeren Film.

Worum geht es inhaltlich?

Um einen Abschnitt aus dem Leben von Antonio Vivaldi (1678-1741), der in Venedig spielt, wo der Barock-Komponist und -Violinist („Vier Jahreszeiten“) zu Welt kam, aufwuchs und als römisch-katholischer Kaplan wirkte. Und so viel kann ich auch schon sagen: Die Hauptrolle wird ein professioneller Geiger übernehmen übernehmen

Wenn es nach Ihrem Vater, einem Facharzt, gegangen wäre, wären Sie Diplomat geworden…

Stimmt. Aber es wurde allgemein bezweifelt, dass ich dafür der Richtige sei. In Konfliktsituationen kann ich nämlich ziemlich geladen und alles andere als gesprächsbereit sein. Und es ist nun einmal die allererste Aufgabe der Diplomatie, Kriege durch abwiegelnde und ausgleichende Gespräche zu verhindern. Denn ein mit Waffen ausgetragener Konflikt endet selten mit einem klaren Sieger und Verlierer, sondern meist mit zwei Verletzten.

Nun toben im Osten Europas wieder Kriege, was sich viele schon gar nicht mehr hatten vorstellen können. Hat die Diplomatie also versagt? Haben Sie, dessen Filme so häufig direkt oder indirekt vom Krieg handeln, Lösungsvorschläge?

Schon bevor Russland die Ukraine angriff und Israel seinen Rachefeldzug gegen die Hamas begann, habe ich (gegenüber „Planet Interview“) gesagt, es müsse immer mit allen Mitteln verhandelt werden, um militärische Auseinandersetzungen zu vermeiden. Kommt es dennoch zum Krieg, ist es die zweitvornehmste Aufgabe von Diplomaten, den Kampf schnellstens zu beenden. Generäle können das nicht. Die schießen immer weiter. Bei geschickter Vermittlung aber hätten der Erste und der Zweite Weltkrieg verhindert, spätestens aber nach zwei Jahren beendet werden können. Denn danach hatte keiner mehr was zu gewinnen. Und diese historische Erfahrung sollte die Diplomatie jetzt schnellstens nutzen.

Ihr Gastgeber „Ciné-feel“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Interesse am Kino gegen die mächtige multimediale Konkurrenz insbesondere bei jungen Menschen zurückzugewinnen, Neugierde und wenn möglich frische Begeisterung für gute Filme zu wecken. Wie schätzen Sie die Zukunft ein?

Das Kino hat eindeutig verloren und wird nie wieder die alten Zahlen schreiben. Daher müssen sich die Programmkinos bewegen und nicht nur Filme vorführen, sondern auch Gäste und Events bieten. Mag sein, dass junge Leute auf dem Umweg über Netflix Arthouse-Filme entdecken und dann in Programmkinos gehen. Aber auch dann wird es nie wieder so werden wie früher.

(Anm.d.Red.: Auch 2023 wurden in Deutschland immer noch rund 30 Prozent weniger Kinokarten verkauft als vor Beginn der Pandemie)

Maler, Schriftsteller, Musiker und andere Künstler greifen bisweilen nach Jahrzehnten Motive wieder auf, die sie in reiferen Jahren mit anderen Augen betrachten und daher neu bearbeiten wollen. Gilt das auch für Regisseure?

Kann durchaus Sinn machen. Für mich persönlich gilt das jedoch nicht. Jedenfalls habe ich nicht das Bedürfnis, alte Geschichten ein zweites Mal aufzugreifen.

Sie selbst kann man angesichts Ihres Lebenslaufs getrost als halben Franzosen bezeichnen, haben Sie doch prägende Jahre Ihres Lebens im Hexagon zugebracht. Wie das Leben spielt, haben etliche Ihrer Hauptdarsteller hier in Südfrankreich eine zweite Heimat gefunden: Angela Winkler, die mit ihrem Mann Wigand Wittig hier unten lebt, Mario Adorf, der in Saint-Tropez verheiratet ist, und Klaus Doldinger, der die Musik zu Ihrem Film „Baal“ komponierte und mit seiner Frau Inge die Sommer gern zurückgezogen in seinem Ferienhaus in Port-Grimaud verbringt. Werden Sie die Gelegenheit nutzen, die jetzt zu besuchen, wo Sie schon einmal in der Nähe sind?

Nein. Mario Adorf ist im Augenblick gesundheitlich nicht so gut drauf (azurblau berichtete). Aber wir telefonieren sehr viel. Angela Winkler sehe ich zwar schon die Tage wieder. Aber nicht in Frankreich, sondern in Berlin, wo wir ihr am Theater aus Anlass ihres 80. Geburtstages eine schöne Feier ausrichten werden.

Herr Schlöndorff, Sie sind jetzt 84 und wirken superfit. Plagt Sie noch kein Zipperlein?

Darauf kann ich Ihnen nur mit der abgedroschenen Plattitüde antworten: „Wenn man morgens wach wird und einem nichts weh tut…“. Den Rest des Satzes kennen Sie ja!

Angela Winkler
Ende 2021 brachte sich Angela Winkler in Sanary-sur-Mer mit großem Engagement in eine hochrangig besetzte Tagung der Wuppertaler Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft gegen Rassismus ein. Die berühmte Schauspielerin, die in wichtigen Schlöndorff-Filmen tragende Rollen spielte und - wie Schlöndorff-Star Mario Adorf und Filmkomponist Klaus Doldinger - in Südfrankreich eine zweite Heimat fand, hat sich inzwischen fast ganz auf Theaterbühnen zurückgezogen. Foto: Rolf Liffers

Schlöndorff-Film “Baal” in Hyères

Aus der kreativen Zusammenarbeit – hier für „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – erwuchsen Regisseur Schlöndorff enge Freundschaften: Mit Mario Adorf, Angela Winkler und Klaus Doldinger, die alle Drei in Südfrankreich eine zweite Heimat gefunden haben, ist er bis heute in dauerndem Kontakt

„Ciné-feel – jeune Cinema“ macht es sich seit Jahren zur Aufgabe, frühe Filme bekannter Regisseure erneut in den Blickpunkt zu rücken. Bei Schlöndorff in Hyères war es jetzt „Baal“, eine Fernsehverfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Bertolt Brecht. Der Film wurde 1969 gedreht und 1970 erstmals im Hessischen Fernsehen gesendet. In „Baal“ wirken zahlreiche Künstler mit, die seinerzeit kurz vor dem Durchbruch standen: Neben dem für Drehbuch und Regie verantwortlichen Schlöndorff selbst der Kameramann Dietrich Lohmann, Klaus Doldinger, der die Musik dazu schrieb, sowie in den Hauptrollen Rainer Werner Fassbinder und Margarethe von Trotta, Hannah Schygulla, Günther Kaufmann, Irm Hermann und Walter Sedlmayr.

Im Zentrum der Handlung steht ein begabter junger Dichter, der nicht nur mit seiner Kunst, sondern auch mit seiner Lebensweise die Normen und Regeln der bürgerlichen Gesellschaft missachtet. Zitat Brecht: „Nicht die Verherrlichung nackter Ichsucht und schrankenloser Lebensgier eines asozialen Dichters ist aber das Thema des Stücks, sondern die Reaktion eines ungebrochenen Ich auf die Zumutungen und Entmutigungen einer Welt, die selber asozial ist.“

Helene Weigel, Frau des 1956 verstorbenen Dramatikers, war mit Schlöndorffs zweitem Spielfilm höchst unzufrieden. Sie und weitere Erben Brechts hatten deshalb über 40 Jahre lang jede weitere Vorführung oder Ausstrahlung der Verfilmung verhindert

Übrigens

In den nächsten Wochen erwartet „Ciné-feel“ weitere bekannte Regisseure zu Gastspielen in Hyères: Théo Angelopoulos am 16. Februar, Jim Jarmusch am 15. März und Ken Loach am 12. April.

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