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Erich Maria Remarque im Jahr 1929. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-10867 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

„Im Westen nichts Neues“: Drei, die in Hollywood leer ausgegangen sind

Drei, die ihn weißgott verdient gehabt hätten, haben für „Im Westen nichts Neues“ keinen (!) Oscar erhalten: der Verfasser des gleichnamigen Erfolgsromans, der dem Film als Vorlage diente – Erich Maria Remarque, der Literaturwissenschaftler Dr. Thomas F. Schneider, der praktisch sein ganzes Berufsleben in den Dienst der Remarque-Forschung gestellt hat, sowie das universitäre Remarque-Friedens-Zentrum, das er seit 23 Jahren leitet und dem Weltbestseller-Autor in seiner Heimatstadt Osnabrück damit ein ehrendes Andenken bewahrt und sich als Institut gegen den Krieg versteht. Schneider ist auch Herausgeber der viel beachteten „Zeugnisse einer Leidenschaft“, die er unter dem Titel „Sag mir, dass Du mich liebst…“ bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht hat. Das Buch erzählt sehr intim von der Liebesgeschichte von Remarque und seiner damaligen Lebensgefährtin Marlene Dietrich, die sich im feudalen Hotel „Eden Roc“ am südfranzösischen Cap d’Antibes abspielte, bevor die beiden erklärten Antifaschisten 1939 vor Hitler nach Amerika flohen.

Das einziges Medium, das mir in den letzten Tagen zwischen die Finger kam und sich ähnlich äußerte, war der deutsche „Spiegel“, der nach dem Hollywood-Triumph schrieb, „es hätte eigentlich heißen müssen: And the Oscar goes to… Erich Maria Remarque“. Denn der historische Triumph fuße eben „auf Remarques Antikriegsroman von 1929, der in Zeiten des russischen Angriffs auf die Ukraine aktueller ist denn je“.

Das Kinopublikum stand schon am 5. Dezember 1930 unter Schock. Mitten in der Vorstellung des gleichnamigen Films warfen SA-Männer Stinkbomben ins Kino am Berliner Nollendorfplatz und trieben weiße Mäuse in den Saal. Sie zerschlugen die Fenster des Kassenhäuschens und überfielen eine Kassiererin mit den Worten: “Geld heraus, Juden heraus, Schluss mit diesem Judendreck!” Im selben Jahr gewann der Streifen zwei Oscars. Sein Regisseur war der US-Amerikaner Lewis Milestone.

“Wir waren 18 Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben… Die erste Granate, die einschlug, traf in unser Herz”, so steht es in Remarques reportagehaftem Roman, den er in seiner Berliner Zweiraumwohnung in nur vier Wochen heruntergetippt hatte.

Remarque, geboren 1898 in Osnabrück, hatte den Horror des Ersten Weltkriegs als Teenager-Soldat schwer verletzt überlebt und sich danach zunächst als Lehrer, Redakteur und auch als Werbetexter durchgeschlagen. In seinem Roman schildert der Autor und Zeitzeuge eindrücklich den Horror rund um seine Hauptfigur Paul Bäumer: Der junge Gymnasiast meldet sich nach Aufforderung seines patriotischen Lehrers freiwillig zum Frontkampf und stirbt kurz vor Ende des sinnlosen Stellungskriegs. Remarques “Im Westen nichts Neues” wurde schnell ein Welterfolg, in 45 Sprachen übersetzt – und bis heute schätzungsweise über 20 Millionen Mal verkauft.

“Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein”, hieß es im Vorwort. “Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde.” Doch in der polarisierten Gesellschaft der Weimarer Republik machte sich Remarque mit seinem Antikriegsbuch unzählige Feinde. In deutschnationalen und rechtsradikalen Kreisen herrschte der Verschwörungsmythos, die angeblich ehrenvolle Armee sei “im Felde unbesiegt” geblieben; indes seien linke Politiker und “vaterlandslose Gesellen” dem deutschen Heer in den Rücken gefallen – die “Dolchstoßlegende”.

Marlene Dietrich
Marlene Dietrich verbrachte im Hôtel du Cap Eden Roc in Antibes leidenschaftliche Nächte mit ihrem Geliebten, Erich Maria Remarque. Das Foto stammt aus dem Jahr 1938 © Oetker Collection

“Ein gemeines, zersetzendes Buch”, notierte der spätere NS-Propagandaminister Joseph Goebbels 1929 in sein Tagebuch, der sich immer wieder bemühte, die Erfolgsschauspielerin Marlene Dietrich zu becircen, „heim ins Reich“ zu kommen. Bereits im selben Jahr zog Remarque in die Schweiz, auch um dem Trubel um seine Person zu entgehen. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 verließ er Deutschland für immer. “Im Westen nichts Neues” wurde verboten und landete auf dem Scheiterhaufen der Bücherverbrennung.

Die Nazis entzogen Remarque die deutsche Staatsbürgerschaft. Seine jüngste Schwester Elfriede wurde später wegen “staatsfeindlicher Äußerungen” von der Gestapo verhaftet und 1943 hingerichtet. Bei ihrem Prozess soll Roland Freisler, berüchtigter Präsident des Volksgerichtshofes, ausgerufen haben: “Ihr Bruder ist uns entwischt. Sie werden uns nicht entwischen.”

Remarque und Dietrich
Erich Maria Remarque und Marlene Dietrich. Quelle: Remarque-Archiv

Nach der Flucht in die USA ließ sich das Paar Remarque und Dietrich, das wie kaum ein zweites das “andere Deutschland” verkörperte, gelegentlich bei Veranstaltungen in Hollywood blicken, wo der unlösbar mit Remarques Namen verknüpfte Romanstoff jetzt so abgeräumt hat.

Teils verheerende Kritiken aus Deutschland

Edward Berger, der deutsche Regisseur des Netflix-Dramas “Im Westen nichts Neues”, löste sich indes von der Buchvorlage. Der „Spiegel“ bemängelt, in seinem Film komme der untersetzte Unteroffizier Himmelstoß mit dem aufgezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart nicht vor. Dabei verkörpere gerade der Ausbilder und Schinder der jungen Soldaten um Paul Bäumer in Remarques Roman den gesellschaftlich verankerten Kadavergehorsam des Kaiserreichs – und den deutschnationalen Größenwahn, der in den Ersten Weltkrieg führte.

In Deutschland fielen die Kritiken am jetzt oscarprämierten Film teils verheerend aus. Die “Süddeutsche Zeitung” schrieb von “Kriegskitsch” und fragte, “ob der Regisseur die Romanvorlage überhaupt gelesen” habe – oder dessen weltweit bekannter Titel nur zu Marketingzwecken verwendet worden sei. Die “FAZ” bezeichnete das Werk als “Schlachtplatte mit ästhetischem Topping”.

Wie Remarque wohl auf die Debatte reagiert hätte? Wahrscheinlich ziemlich gelassen. In einem Fernsehinterview sagte der Autor 1962, ihm sei schon bald nach Veröffentlichung von “Im Westen nichts Neues” klar gewesen, sein Roman werde “über seine eigene Qualität hinauswachsen durch das Legendenhafte”. Er selbst könne das niemals einholen. “Da ich das wusste, habe ich mich damit abgefunden von Anfang an.”

“Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hineingehen müssen.”

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte Erich Maria Remarque in der Schweiz. Auf die Frage, ob er ein pazifistischer Schriftsteller sei, sagte er rückblickend: “Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hineingehen müssen.”

Remarque starb am 25. September 1970 in Locarno.

Thomas Schneider hatte sich bereits 2001 mit einer Arbeit zur Entstehung und Rezeption von „Im Westen nichts Neues“ habilitiert. In Osnabrück und an der Bundeswehrhochschule München lehrt er Neuere Deutsche Literatur. Vor wenigen Jahren war er vom „Eden Roc“ in Antibes eingeladen worden, eine Remarque-Ausstellung für das Oetker-Hotel zu konzipieren. Doch wurde der Gedanke später vom damaligen Generaldirektor mit dem Hinweis verworfen, eine solche Schau passe nicht recht zu den Gästen des Hauses.

Rolf Liffers

Hôtel du Cap Eden Roc
Das Hôtel du Cap-Eden-Roc thront majestätisch am Südzipfel des Cap d’Antibes © Oetker Collection
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