You are currently viewing Große Rouault-Ausstellung ab Samstag in Le Lavandou
Als Blickfang ab Samstag in Le Lavandou zu sehen: Rouaults "Au pays de la soif et de la peur" (51x72 cm). Reproduktion: Rolf Liffers

Große Rouault-Ausstellung ab Samstag in Le Lavandou

Das ist die bisherige Krönung der fünfjährigen Geschichte der „Villa Théo“ in Le Lavandou an der Côte d’Azur. Von kommendem Samstag, 1. April, bis zum 1. Juli werden in dem kleinen Museum Werke des weltberühmten Malers und Grafikers Georges Rouault (1871-1958) gezeigt.

Rouault gilt als einer der größten Künstler der Klassischen Moderne. Nach seinem Tod war er mit einem Staatsbegräbnis geehrt worden. Einer bestimmten Schule oder einem Stil ist er schwerlich zuzuordnen, wird jedoch den Künstlern der École de Paris zugerechnet. Als Mitbegründer des Salon d’Automne (1903) gehörte er anfangs zum Kreis der Fauves, ging jedoch bald eigene Wege und zeigte sich wie kaum ein Zweiter inspiriert von seinem christlichen Glauben.

Als Zeitgenosse der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, des Kubismus, des Expressionismus und des erwähnten Fauvismus, hatte der mystische Maler die großen Tempel der Kunst möglichst gemieden. Auch heute noch wird er nur sparsam ausgestellt. An der Côte d’Azur waren Arbeiten von ihm zuletzt 1960 zu sehen – im prominenten Musée Cantini in Marseille.

Wie kommt nun das kleine Le Lavandou zu der Ehre der Rouaultschen Bilderschau „Peintre de l’esprit“? „Zufall“, erklärt Kulturattaché Raphaël Dupouy auf Befragen von azurblau.fr. „Der Enkel des Meisters hat einen Zweitwohnsitz in unserem Dorf“. Und der sei bereit gewesen, „uns gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern etwa 30 Werke zu leihen“.

Der Akt-, Porträt- und Landschaftsmaler Rouault war auch als Keramiker, Graveur und Buchillustrator für seinen Händler Ambroise Vollard tätig und entwarf Modelle für Wandteppiche und Glasmalereien. Da er „ein unermessliches Mitleid mit Leidenden empfand“ (Dupouy), etablierte er sich „als Maler der von der Gesellschaft Abgehängten, von denen er ein ausdrucksstarkes und intensives Bild schuf, mit einer starken Betonung durch schwarze Konturen, das oft mit Materie und kräftigen Farben gesättigt ist“. Übrigens: Auch als Kolorist und Radierer genoss Rouault hohes Ansehen, insbesondere in Korea und Japan.

Christliche Künstlergemeinschaft bleibt Plan

Nach einer Glasmaler-Lehre von 1885 bis 1890 bei einem Restaurator für Kirchenfenster hatte der junge Mann ab 1890 die École nationale supérieure des arts décoratifs und anschließend die École nationale supérieure des beaux-arts de Paris besucht. Zunächst war er Schüler von Elie Delaunay und nach dessen Tod 1891 von seinem Nachfolger, dem Symbolisten Gustave Moreau, dessen Meisterschüler er ab 1892 war. Um 1901 hielt er sich für mehrere Monate mit Künstlern und Literaten um den Schriftsteller Joris-Karl Huysmans in der Nähe des Klosters Ligugé bei Poitiers auf. Der gemeinsame Plan, eine christliche Künstlergemeinschaft zu gründen, scheiterte jedoch an der laizistischen Haltung des französischen Staates.

Der stets mit dem Vollbrachten hadernde Rouault benötigte jedoch Jahrzehnte zur Vollendung des von Vollard erworbenen, insgesamt 770 Werke umfassenden Fonds. Zudem kam es im Zuge der darüber hinausgehenden engen Kooperation zwischen Maler und Kunsthändler zu immer neuen, vor allem grafischen Projekten, die den Künstler zusätzlich in Anspruch nahmen.

Größere Ausstellungen und Retrospektiven fanden seit den späten 1930er-Jahren in New York, Zürich, Brüssel, Paris, Amsterdam, Mailand und Jerusalem statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Rouaults Produktivität einen erneuten Höhepunkt. Der Fonds wurde von den Hinterbliebenen des Künstlers 1963 fast vollständig dem französischen Staat vermacht und befindet sich heute im Pariser Centre Georges Pompidou.

Georges Rouault schuf auch Bühnenbilder, Tapisserien, Glasmalereien, Keramiken und Emailarbeiten. Nach der Akademiezeit hatte er zunächst religiöse Motive nach der Art mittelalterlicher Kirchenfenster sowie nach dem Vorbild von Werken Leonardo da Vincis, Rembrandt van Rijns und Francisco de Goyas kreiert. Um die Jahrhundertwende wandte er sich, ähnlich wie zuvor Edgar Degas und Henri de Toulouse-Lautrec, dem Thema Prostitution zu. Es entstanden ausdrucksstarke Bilder, die dem Betrachter ungeschönt das physische und moralische Elend der Huren vor Augen führen.

Kraftvoll leuchtende Farben mit schwarzer, umschließender Kontur

Um 1910 finden sich, im Anschluss an Werke Honoré Daumiers, verstärkt Gerichtsszenen in seinen Bildern. Gleichzeitig wurde Rouaults Malstil im Zuge einer Rückkehr von der zuletzt verwendeten Gouache- zur Ölmalerei ruhiger. Besonders kennzeichnend ist seither die charakteristische, an die Glasmalerei erinnernde Verbindung von kraftvoll leuchtenden Farben und schwarzer, umschließender Kontur.

Während der engen Zusammenarbeit mit Vollard bestimmte ab 1917 für etwa zwei Jahrzehnte die Grafik sein Schaffen. Das wohl bedeutendste Werk aus dieser Zeit ist der Grafikzyklus „Miserere“, dessen sich mit Kriegs- und Flüchtlingselend auseinandersetzende Motive kurz nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt wurden und bei der Veröffentlichung 1948 vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs erneut von großer Aktualität waren und zur Zeit wieder werden. Blätter wie „Homo homini lupus“ erschienen als eindrückliche Antikriegsbilder.

Als Rouault sich in den späten 1930er-Jahren wieder verstärkt der Malerei widmete, kam es unter dem Einfluss der vorausgegangenen Erfahrungen als Grafiker mit farbigen Aquatinten in Illustrationswerken wie „Cirque de l’Étoile filante“ (1938) und „Passion“ (1939) zu einer spürbaren, fast impressionistischen Aufhellung seiner Palette. Das eigentliche Spätwerk Rouaults (ab 1948) ist schließlich von einer beispiellosen materialen Leidenschaft bestimmt, die in der Literatur nicht selten mit dem abstrakten Expressionismus oder dessen französischer Spielart, dem Tachismus, in Zusammenhang gebracht wird.

Einige von Rouaults Werken wurden 1955 auch auf der documenta I und posthum auf der documenta II im Jahr 1959 in Kassel gezeigt.

Rolf Liffers

„Georges Rouault – Peintre de l’esprit“
1. April – 1. Juli 2023
dienstags bis samstags 10-12 und 14-17 Uhr
Villa Théo – 265 Avenue Van Rysselberghe – Le Lavandou (Saint-Clair)
Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar