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Buchmesse – Skandal-Literat – Lotto-König

“Streiflichter” – unter dieser Rubrik stellen wir wöchentlich wissenswerte Info aus dem Süden zusammen. Diesmal: Ein Sammelsurium von Geschichten illustrer Persönlichkeiten, die zu Lebzeiten die Côte d’Azur für sich entdeckten. Von Rolf Liffers.

Buchmesse von Toulon ehrt die Colette

Fête du livre
Kulturelles Highlight an der Côte d’Azur: Die jährliche „Fête du livre“ im Département Var.

Als hätten wir’s geahnt: Die traditionsreiche Buchmesse von Toulon („Fête du livre du Var“) ist in diesem Jahr der großen französischen Schriftstellerin Colette („La naissance du jour“) gewidmet. Anlass ist der 150. Geburtstag der Pariser Romanautorin, die sich – wie in unsern letzten Streiflichtern ausführlich berichtet – persönlich und in ihrem Werk offen zu ihrer Bisexualität bekannte und zwischen 1925 bis 1938 ihre Sommer in ihrer „Treille muscate“ in Saint-Tropez verbrachte.

Colette-Grab
Verehrer legten jüngst aus Anlass ihres 150. auf Colettes Grab in Paris ein Geburtstagsgebinde nieder. Foto: Rolf Liffers

Auf dem Programm des Buchfestivals steht unter anderem eine Lesung aus Colettes Drama „La Blé en herbe“ von 1923 (deutscher Titel: „Erwachende Herzen“), in dem die Verfasserin die zerbrechliche Liebe eines Jungen und eines Mädchens schildert. Vorleserin ist die Schauspielerin Adeline d’Hermy (36), Mitglied der Comédie-Française. Terminiert ist weiterhin ein „Treffen um die Colette“, das von Frédéric Maget geleitet wird, der über die Geehrte die Dokumentation „Die sieben Leben der Colette“ geschrieben hat.

Präsident der Buchmesse, die vom 17. bis zum 19. November wieder in der Zeltstadt auf der Place d’Armes stattfindet, ist der frisch gekürte Goncourt-Preisträger 2023, der Cannois Jean-Baptiste Andrea (“Veiller sur elle”). Ehren-Präsidentin ist diesmal Katherine Pancol (69), Ehrengast der amerikanische Thriller-Autor Harlan Coben (61). Pancol wurde durch ihren in viele Sprachen übersetzten Roman „Die gelben Augen der Krokodile“ bekannt, der sich über eine Million mal verkaufte. Coben gewann als erster Schriftsteller die drei wichtigsten US-Krimi-Preise auf einmal.

100 Jahre Radiguet und die illustre "Bande von Lavandou"

Die Bande von Lavandou
Zumindest an Teile der "Bande von Le Lavandou" erinnern diese Bilder an der Fassade der Villa Théo, die einst der Maler Théo van Rysselberghe bewohnte und heute von der Stadt als Kunstmuseum genutzt wird. Foto: Rolf Liffers
Radiguet
Raymond Radiguet. Repro: Rolf Liffers

Vor 100 Jahren starb der Dramatiker Raymond Radiguet. Im selben Jahr – also ebenfalls 1923 – war bei Grasset sein Erstlings- und Skandalroman „Le diable au corps“ (später bei Suhrkamp: „Den Teufel im Leib“) erschienen, den der erst 17-jährige „Wunderknabe“ zuvor unter den Fittichen seines viel älteren, bereits berühmten Mentors und Intimfreundes Jean Cocteau (1889-1963) in Le Lavandou (Département Var) vollendet hatte.

Erzählt wird die Geschichte einer bedingungslosen und verzehrenden Leidenschaft zwischen zwei jungen Menschen im Angesicht des Ersten Weltkriegs – die Geschichte einer sündigen und unmoralischen amour fou. Weil la Grande Guerre erst fünf Jahre vorbei war, verletzte der Roman die französischen Leser, handelt er doch von der sinnlichen und ehebrecherischen Affäre zwischen einem 15-jährigen Schüler und einer älteren, verheirateten Frau, deren Ehemann als Soldat an der Front steht und sein Leben für das Vaterland aufs Spiel setzt.

Der offenbar autobiografische Roman brach mit sämtlichen Moralvorstellungen und Tabus jener Zeit und löste eine Schockwelle aus, die auch lange nach seiner Veröffentlichung nicht abebbte. Radiguet, Enfant terrible der französischen Literatur, war wie sein zeitloses Meisterwerk von einer Aura der Verruchtheit umwittert. Durch seinen frühen Tod wurde der bisexuelle Autor bald zum Mythos – dem eines frühreifen, früh reifen und verdorbenen Genies.

Jean Cocteau
Jean Cocteau. Repro: Rolf Liffers

Radiguets feingliedriges Gesicht mag im öffentlichen Gedächtnis eher verblasst sein. Insofern trifft es sich gut, dass jetzt das noble Kunstmuseum „La Banque“ in Hyères-les-Palmiers eine große Ausstellung mit seltenen Schwarzweiß-Aufnahmen aus der Optik des bekannten amerikanischen Fotografen Man Ray (1890-1976) zeigt, auf denen der junge Dramatiker sowie sein Förderer Cocteau sehr klar zu erkennen sind.

Die beiden waren in den ersten Maitagen des Jahres 1922 in Le Lavandou angekommen. Zwar kannten sie das Fischerdorf schon aus dem Vorjahr. Doch nun ließen sie sich hier gleich für einen regelrechten Arbeitsurlaub nieder, der ein halbes Jahr währen sollte, in denen sie am selben Tisch ihre Texte schrieben (Cocteau: „Le violon d’Ingres“), die in die Literaturgeschichte eingingen.

Man-Ray-Ausstellung
Wie bestellt, sind Porträtaufnahmen von Radiguet und Cocteau in der aktuellen Man-Ray-Ausstellung (Plakat) in Hyères-les-Palmiers zu sehen. Foto: Rolf Liffers

Im Sommer desselben Jahres hielten sich auch Marie Laurencin, Sandi und Joseph Kessel sowie André Gide in Le Lavandou auf, der bei dem Maler Théo van Rysselberghe logierte und in einer menage à trois mit seinem Liebhaber versehentlich dessen Frau schwängerte, wovon die bis dahin ahnungslosen „Väter“ und die Tochter Catherine Gide erst 14 Jahre später erfuhren. Catherine Gide wäre in diesem Jahr 100 geworden, vor zehn Jahren ist sie gestorben.

Gide hatte sich 1923 mit Cocteau zerstritten. Doch unter dem Eindruck der milden Sommernächte reichten sie sich nun wieder die Hand. Kessel freundete sich mit Cocteau an. In der Biografie über Kessel („Joseph Kessel ou Sur la piste du lion“, Plon 1985) beschreibt der Schriftsteller Yves Courrière die etwas „andere“ Clique als „Bande von Lavandou“.

Schon in der ersten Postkarte an seine Mutter rühmt Cocteau den Charme des kleinen Hafens und zeigt sich „beruhigt“, dass sein Raymond „fernab aller Pariser Extravaganzen seinen Roman ohne den Schatten von Kindlichkeit mit einem ergreifenden Ende abgeschlossen hat“.

So viel Empörung das Buch auch auslöst, so viel Zuspruch erhält es von prominenter Seite. Arrivierte Literaten wie Paul Valéry, René Benjamin (Prix Goncourt 1919) und Max Jacob, bei dem Cocteau Radiguet 1918 oder 1919 kennengelernt hatte, spenden dem minderjährigen Romancier öffentlich Beifall. Anerkennung kommt überdies aus anderen Lagern, zumal der Junge, der bereits zu den schillernden Gestalten der künstlerischen Avantgarde von Paris gehört, auch freundschaftliche Beziehungen zu Schriftstellern und Dichtern wie André Salmon, Pierre Reverdy und seinem späteren Verleger François Bernouard unterhält. Und „natürlich“ kennt er unterdessen auch die Maler Gris, Picasso und Modigliani, der ihn öfter porträtiert, und verkehrt mit jungen Komponisten wie Milhaud, Georges Auric, Francis Poulenc und Arthur Honegger. Unter dem Pseudonym „Rajiky“ schreibt er mehrere Märchen in der noch jungen Zeitung „Canard enchaîné“.

Radiguet-Grab
Radiguet, dessen Skandalroman („Den Teufel im Leib“) in seinem Todesjahr vor 100 Jahren erschien, fand auf dem Pariser Friedhof „Père Lachaise“ seine letzte Ruhe. Foto: Rolf Liffers

1947 wird Radiguets vermutlich autobiografisches Liebesdrama erstmals verfilmt. Mit Gérard Philipe als François, in den sich die in einem Lazarett arbeitende ältere und verheiratete Marthe (Micheline Presle) leidenschaftlich verliebt, während – wie erwähnt – ihr Ehemann an der Front kämpft. Wie zuvor schon der Roman wird auch der Film weithin verrissen, aber ein Skandalerfolg. Es folgen vier weitere Adaptionen (u.a. 1986 mit Maruschka Detmers). Auch Gérard Philipe, den die Kinotragödie zum Star machte, sollte nur 36 werden. Neben seiner Frau, der Romanautorin Anne Philipe („Nur einen Seufzer lang“) ruht er (in der Uniform von „Le Cid“, seiner Lieblingstheaterrolle) auf dem Friedhof von Gassin im Var.

Radiguet stirbt nach einem Bad in der Seine an Typhus. Sein zweiter Roman „Le bal du compte d’Orgel“, den er in Lavandou begonnen hatte, kommt erst nach seinem Tod (1924) heraus.

Cocteau kann den Tod seines Freundes lange nicht verwinden und sucht Trost im Opium. Nach Lavandou kehrt er erst 1935 zurück, diesmal mit Jean Marais, mit dem er nun im selben Haus wie zuvor mit Radiguet in Pramousquier (heute Le Lavandou) lebt.

Die Villa Croix-Fleurie, die Cocteau mit Radiguet zuallererst bewohnt und dann wegen des im Sommer brandenden Tourismus aufgegeben hat, wurde 1925 von Peggy Guggenheim und ihrem Mann Laurence Vail erworben und in „Kia Ora“ (“Willkommen” auf Tahitianisch) umgetauft.

"Lammärs": Erinnerungen an den Glücksschmied aus Port-Grimaud

Für mich war er die Frohnatur schlechthin: Wohin er auch kam, löste er Heiterkeit aus und stellte sich als Wahlfranzose gern selbst mit „Lammärs“ vor. Vor elf Jahren ist er nun gestorben, Lothar Lammers, Erfinder des bis heute erfolgreichsten Glücksspiels der Welt („Lotto“ nach der Formel 6 aus 49) und – mit seiner Frau Katharina – jahrzehntelang Resident im gemeinsamen Haus in Port-Grimaud.

Der aus Höxter stammende Diplomkaufmann betrachtete sich selbst als „Handwerker der besonderen Sorte“. Er sei – wer könnte das sonst schon von sich sagen? – „Glücksschmied von Beruf“!

Lottoschein
Lottoschein “6 aus 49”. Foto: Iamhere, CC BY-SA 3.0

Vor rund 65 Jahren hatte der Westfale mit einem rheinischen Weggefährten das Lottospiel nach der Millionenformel 6 aus 49 ausgetüftelt. Seither befand er sich auf der Sonnenseite des Lebens. Wintertags in einer schönen Mietwohnung, stadtnah auf einem malerischen Bauernhof in Münster. Die andere Jahreshälfte im Eigenheim am südfranzösischen Golf von Saint-Tropez, wo ihn bald ebenfalls jeder kennt. Ihn in seinem grünen Stahlschiff, das er später der Gemeinde schenkte, seine Frau im weißen Porsche-Cabrio.

Köln in den 1950er-Jahren: Die Studenten Lothar Lammers und Peter Weiand arbeiten an Wochenenden beim Fußballtoto. Mit Schablonen prüfen sie Tausende und Abertausende von Tippscheinen. Dabei kommt ihnen der Gedanke, es müsse doch eine bessere als die Toto-Formel geben. 6 aus 49 scheint die Lösung zu sein.
Monatelang gehen sie mit ihren Ideen hausieren. Doch ihre Chefs bei der Westdeutschen Fußball-Toto GmbH in Köln lassen die Heißsporne abblitzen. Frustriert schmeißen sie schließlich hin und machen ihren eigenen Laden auf.

Gehör fanden sie erst beim Bankenkonsortium der öffentlich-rechtlichen Landesbanken, das die vom Fußballtoto fast verdrängte Nordwestdeutsche Klassenlotterie betrieb. „Wir bauten ein völlig neues Unternehmen auf“, schilderte uns Lammers. „Schnell sprach sich herum, dass Lotto-Gewinne selbst bei kleinem Einsatz auch in den unteren Klassen breit gestreut waren. Trotzdem konnten in den oberen Gewinnklassen sehr hohe Gewinne ausgeschüttet werden.“

Nur kurze zwei Jahre – von 1955 bis 1957 – waren Fußballtoto und Zahlenlotto Konkurrenten. „Dann hatten wir dem Totogeschäft praktisch das Wasser abgegraben“, freute sich Lammers. Die nordrhein-westfälische Landesregierung übertrug den Totobetrieb auf Lotto. Weiand und Lammers wurden zu Geschäftsführern auch von Toto bestellt.
Bis zur Rente Mitte der 80er-Jahre blieb Lammers Chef der Westdeutschen Lotteriegesellschaft Köln/Münster mit Sitz in Münster und machte die Formel 6 aus 49 weltberühmt.

In Frankreich, das 1975 das Lottospiel einführte, gilt Lammers noch heute als „Père du Loto“ (Vater des Lotto). Auch er selbst tippte zeitlebens. Sechs Richtige jedoch hat er nie geschafft.

Übrigens...

Möbel-Ausstellung
Seit Charles de Gaulle (1968) dient das Fort de Bregançon in Bormes-les-Mimosas als offizielle Sommerresidenz der französischen Staatspräsidenten. Mit ihnen wechselten in der Regel auch die Möbel, die nun den Winter über im Museum des Dorfes ausgestellt werden. Die jeweiligen Staatsgäste, die in der zum Bungalow umgebauten einstigen Festung in traumhafter Höhenlage über dem Meer zu Besuch waren (Bundeskanzler Helmut Kohl 1985, Theresa May 2018, Wladimir Putin 2019 beziehungsweise Angela Merkel 2020) trafen also auf unterschiedliche Ambiente. 1793 – also vor 230 Jahren – hielt sich hier schon Napoleon Bonaparte (bei der Belagerung von Toulon) auf. Foto (Plakat): Rolf Liffers

Jemand vermöbeln” heißt auf Französisch passer quelqu’un à tabac. Das fiel mir spontan ein, als das Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Bormes mitteilte, dass dort ab dem 25. November bis zum 25. Mai nächsten Jahres Möbelstücke gezeigt werden, mit denen es sich Frankreichs jeweilige Präsidenten-Ehepaare von de Gaulle bis Macron in der offiziellen Sommerresidenz Fort de Bregançon gemütlich gemacht haben. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten… vermöbelt haben dürften sich die Herren Staatenlenker bei allen politischen Gegensätzen deshalb eher nicht.

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