Sie zählt bis heute zu Hollywoods größten Stars: Vor 30 Jahren starb Audrey Hepburn. Die Weichen zu ihrer Weltkarriere wurden an der Côte d’Azur gestellt. Internationale Medien bedenken sie jetzt mit erneuten Hommagen. Viele Kapitel ihres Lebens sind jedoch bis heute kaum oder gar nicht bekannt.
Zum Beispiel, dass die Kinolegende über 30 Jahre lang nach ihrem verschollenen Vater gesucht hat. Als sie ihn endlich findet, stellt sich heraus, dass er einst ein führender Nazi in England war, während sie als Mädchen im niederländischen Widerstand gegen Hitlerdeutschland zeitweise ums nackte Überleben kämpfte.
Was auch fast niemand weiß: Die Weichen für die Weltkarriere von Hollywoodstar Audrey Hepburn (1929-1993) wurden vor rund 70 Jahren an der Côte d’Azur gestellt. Der Zufall wollte es, dass sich die junge, unbekannte und in einer Nebenrolle besetzte Schauspielerin für die Dreharbeiten zur Filmkomödie „Musik in Monaco“ am Mittelmeer aufhielt und hier von der französischen Erfolgsautorin Sidonie-Gabrielle Colette (1873-1954) entdeckt wurde.
Noch weniger Menschen wissen, dass Audrey bereits als Teenager die Résistance aktiv unterstützt hatte – ohne auch nur einen blassen Schimmer davon zu haben, dass ihr leiblicher Vater Joseph Ruston (1889-1980) gleichzeitig als fanatischer Nationalsozialist und Antisemit auf der Gegenseite agitierte und als durchdrungener Anhänger von Mussolini und Hitler zutiefst in die faschistischen Hierarchien verstrickt war.
1935 hatten sich Audreys Eltern getrennt, nachdem ihre niederländische Mutter Ella Baroness van Heemstra ihren Mann in flagranti mit dem Kindermädchen erwischt hatte, der daraufhin abgetaucht war. Audrey, die im belgischen Ixelle zur Welt kam, war damals sechs. Sie soll so gut wie nie über ihren großen Schmerz gesprochen haben, dass ihr Vater danach kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte. Latent hat sie immer nach ihm Ausschau gehalten. Bis der Leidensdruck nach über 30 Jahren so stark war, dass sie gezielt Detektive auf ihn ansetzte. Die machten Ruston in Irland ausfindig, wo er sich zur Ruhe gesetzt hatte.
Zu Audreys Entsetzen stellt sich heraus, dass ihr Vater in London Schulter an Schulter mit dem überzeugten Nazi Oswald Mosley (1896-1980) marschiert war. Mosley war Gründer der damals sehr populären British Union of Fascists (BUF), der insbesondere dem italienischen Duce nacheiferte, seine Anhänger in schwarze Uniformen („Blackshirts“) steckte und als Parteihymne das nationalsozialistische Horst-Wessel-Lied intonierte. Bereits in den dreißiger Jahren war Ruston der Bewegung beigetreten und hatte sich umso stärker radikalisiert, je näher der Krieg rückte. Schließlich hatte der Engländer wegen seiner landesverräterischen Umtriebe untertauchen müssen.
Während in den Niederlanden, wohin Ella mit Audrey und ihren beiden Söhnen aus erster Ehe, Alex und Ian, gezogen war, alliierte Bomben fielen, begann die 15-Jährige 1944 mit ihrer Arbeit für den Widerstand. Sie gab Tanzunterricht, stand auf der Bühne und spendete ihre schmalen Gagen für die antifaschistische Sache. In ihrem Alter fiel es kaum auf, dass sie britische Soldaten in deren Unterkünften mit Essen oder Nachrichten versorgte. Ihre Familie gewährte rund 40 Flüchtlingen Unterschlupf, darunter auch einem britischen Kampfpiloten, der seinen Abschuss überlebt hatte.
Dabei hatte Audreys Familie zunächst durchaus mit den Nazis sympathisiert. Ihre Eltern hatten Hitler 1935 persönlich kennengelernt. Doch ihre politische Einstellung hatte sich schnell geändert, nachdem Audreys Onkel Otto 1942 von der SS liquidiert worden war. Ella und die drei Kinder waren daraufhin aus dem umkämpften Arnheim aufs Land geflohen. Der Winter 1944/45 muss besonders entbehrungsreich gewesen sein. „Manchmal hungerten wir drei Tage am Stück“, schilderte die Diva später. „Manchmal hat es zum Frühstück nur heißes Wasser und eine Scheibe Brot gegeben, zu Mittag vielleicht eine Kartoffel.“ Das Kriegsende hatten sie wegen der andauernden Luftangriffe fast nur noch im Keller verbracht.
Audreys heute 50-jähriger Sohn, der in der Schweiz lebende Buchautor Luca Dotti aus Audreys Ehe mit dem römischen Psychiater Andrea Dotti, berichtet, dass seine Mutter bei Kriegsende auf 40 Kilo abgemagert war.
Nach dem Krieg kam Audrey in ein Internat nach England. Am liebsten wäre sie Balletttänzerin geworden, wurde mit ihren 1,70 Metern jedoch für zu groß befunden.
Erst als sie schon ein Star war, erfuhr sie, dass ihr Vater in der englischen Faschistenbewegung eine Schlüsselrolle gespielt hatte. Immerhin war er in seiner Heimat für die von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels finanzierten NS-Werbekampagnen zuständig gewesen.
Sein enger Gesinnungsfreund Oswald Mosley ist in dieser Zeit mit Diana Mitford liiert, der ältesten von sechs ziemlich schrillen Skandalnudeln aus begütertem Landadel, die damals die Klatschspalten der britischen Presse füllten. Dianas jüngste Schwester Jessica sorgte zum Beispiel für Schlagzeilen, als sie mit dem linksorientierten Neffen von Winston Churchill durchbrannte, um am spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen.
Als sie Mosleys Geliebte wurde, war Diana noch mit einem der reichsten Männer im Vereinigten Königreich verheiratet. Nach der Scheidung fand ihre zweite Hochzeit mit Mosley 1936 im Dienstzimmer von Goebbels Berliner Villa statt. Und das wiederum wurmte ihre ehrgeizige Schwester Unity (1914-1948), der ihre Eltern kennzeichnenderweise den zweiten Vornamen Valkurie (Walküre) gegeben hatten. Diese Unity, übrigens Cousine von Churchills Ehefrau Clementine, war geradezu besessen von völkischem und antisemitischem Gedankengut und wollte der Öffentlichkeit nun beweisen, dass sie in der Lage war, das Herz eines noch größeren Führers zu erobern als ihre Schwester.
„Ich las gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“
1934 reist sie daher zielstrebig nach München, um Reichskanzler Adolf Hitler anzubaggern, der privat noch in der bayrischen Landeshauptstadt lebt. Ganz anders als in Berlin läuft der „Führer“ dort frei herum und pflegt – wie nicht schwer herauszufinden war – in seinem Lieblingslokal, der Schwabinger Osteria Bavaria an der Schellingstraße, zu speisen. Dort lauert ihm die blonde und hoch gewachsene Engländerin fortan Tag um Tag auf, bis Hitler den Prototyp der arischen Frau gewärtigt und an seinen Tisch bittet (Zitat aus ihren Aufzeichnungen: „Ich las gerade in der Vogue, als der Führer mich ansprach“).
Dem Führer schmeichelt die Zuwendung der adeligen Nationalsozialistin. Und Unity selbst erklärt sich „zum glücklichsten Mädchen der Welt“. Tatsächlich werden die beiden enge Freunde. Sie treffen sich wohl 150 Mal. Ob sie aber ein klassisches Liebesverhältnis hatten, ist bislang ungeklärt.
Dagegen spricht, dass Hitler nicht müde wurde zu betonen, dass er bereits mit „Deutschland verheiratet“ sei, und – wenn überhaupt eine Frau – dann nur ein deutsches Mädchen erwählen würde, wie er Leni Riefenstahl erzählt haben soll. Kenner der Szene gehen davon aus, dass sich Hitler allein schon deshalb nicht binden wollte, um die Tausenden von verliebten Groupies nicht zu verprellen, die ihn im „Tausendjährigen Reich“ anhimmelten.
Nach anderen Quellen aber soll sich der mächtigste Mann Europas durchaus mit einem Heiratsantrag getragen haben. In England jedenfalls sprach man schon von Mrs. Hitler.
Wie auch immer: Hitlers offizielle Geliebte, Eva Braun, soll förmlich auf die Palme gegangen sein, wenn sie Unitys Namen hörte. Und in der Tat: Der Einfluss der jungen Engländerin auf den deutschen Machthaber wuchs beständig. Bald gehörte sie zum inneren Zirkel der NSDAP. Sie konnte sich sogar herausnehmen, an der Entourage des Führers offen Kritik zu üben, der stets seine Hand über sie hielt. Albert Speer bezeichnete sie als einzige, die es wagen durfte, sich Hitler gegenüber für eine deutsch-englische Partnerschaft einzusetzen.
Am 3. September 1935 besuchten Unitys Eltern, Lord und Lady Redesdale, ihre Tochter in München. Bei dieser Gelegenheit stellte Unity ihnen den Reichskanzler persönlich vor. Beim 7. Reichsparteitag der NSDAP hielt sie eine flammende Rede und warnte vor der „Judengefahr“.
Hitler schenkte Unity zum Beweis seiner Gunst ein goldenes Parteiabzeichen. Auch verschaffte er ihr einen Logenplatz bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Bei der Verkündung des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 stand sie direkt neben ihm.
Einen Sommer verbrachten Unity und Hitler auch auf dem Berghof. Der britische Geheimdienst berichtete 1936, sie sei „mehr Nazi als die Nazis“ gewesen. Den britischen Botschafter in München soll sie mit „Heil Hitler“ gegrüßt haben, woraufhin der sie aufforderte, ihren Pass abzugeben.
1939 besuchen Unity und ihre Schwester Diana die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth. Als Hitler andeutet, ein Krieg mit England werde nicht zu vermeiden sein, soll sie gedroht haben, eine solche Tragödie werde sie nicht überleben.
Mit 25 Jahren versucht sie tatsächlich, sich zu erschießen. Merkwürdigerweise ist die Gestapo als erste am Tatort, einem Münchner Park. Ungeklärt ist bis heute, ob sich Unity von dem Despoten verschmäht fühlt oder ob sie nicht verwinden kann, dass ihr Traum von einer binationalen Freundschaft im Gegenteil enden soll. Hitler jedenfalls entledigt sich ihrer nach dem missglückten Freitodversuch und lässt sie in ihre Heimat zurückverfrachten.
Nun muss man bei all dem wissen, dass der Faschismus in den dreißiger Jahren keineswegs ein rein deutsches Phänomen war. Den britischen Imperialisten war das Herrenmenschen-Denken keineswegs fremd. Nazi-Schwärmereien waren durchaus gesellschaftsfähig. Beim Nürnberger Reichsparteitag 1933 gar waren die Engländer mit einer großen Delegation vertreten.
Erst 1940, als die BUF verboten wird, wird Hepburns Vater wie 740 andere gleichgesinnte Funktionäre wegen Kollaboration mit dem Feind festgenommen und interniert. Bis Kriegsende bleibt er in Haft und kommt auch danach politisch nicht wieder auf die Beine.
Nach seiner Enttarnung durch die „Schergen“ seiner Tochter Audrey organisiert Ruston ein Treffen mit ihr in einem Dubliner Hotel. Schweigen hängt über dem Wiedersehen. Er zeigt nicht das geringste Bedauern wegen seiner denkwürdigen Vergangenheit. Audrey ihrerseits behandelt ihn wie ein rohes Ei. Auf zwei erhaltenen Fotos lächeln beide bemüht. Offensichtlich hegt Audrey keinen Groll gegen ihren Vater. Sie vergibt ihm vielmehr die lange Abwesenheit und setzt ihm sogar eine Pension auf Lebenszeit aus.
Die Colette hatte in der jungen Audrey auf Anhieb die Idealbesetzung für die Titelrolle der „Gigi“ erkannt. So reist Audrey, die in Holland aufwuchs, aber bis zu ihrem Tod den britischen Pass behielt, nach Amerika und spielt 1951/1952 am Fulton Theatre in New York ihren Part so überzeugend, dass sie mit dem Theatre World Award ausgezeichnet wird. Auf diese Weise wird Hollywood auf sie aufmerksam, wo sie zwei Jahre später an der Seite von Gregory Peck mit „Ein Herz und eine Krone“ und einem Oscar ihren endgültigen Durchbruch schafft. Bald gehört sie zu den größten Kinostars der fünfziger und sechziger Jahre.
International wird das bescheidene Mädchen mit dem strahlenden Lächeln als erfrischend-wohltuender Kontrapunkt zu den üppigen Vamps vom Schlage einer Sophia Loren oder Marilyn Monroe wahrgenommen. Billy Wilder sagte über sie: „Audrey schafft es noch, den Busen aus der Mode zu bringen.“
Apropos Mode: Auch auf diesem Gebiet galt Audrey Hepburn als zeitlose Stilikone. Sie war Muse und enge Freundin von Hubert de Givenchy, der bis zu seinem Tode in Saint-Jean-Cap-Ferrat wohnte und 2018 mit 91 Jahren starb. Ihm verdankt die „Elfe“ unverwechselbare Markenzeichen, riesige Sonnenbrillen zum Beispiel, Siebenachtelhosen und flache Ballerinas. De Givenchy war es auch, der das berühmte Kleine Schwarze für „Tiffany“ entwarf. 2006 wurde es für fast 700.000 Euro versteigert und war damit das laut Christie’s teuerste Kleidungsstück der Filmgeschichte. Sie sagte über ihn: „Ich hänge an Givenchy wie viele Amerikaner an ihrem Psychiater.“ Er sagte über Audrey: „Sie hat einfach Klasse!“ Gemeinsam schufen sie eine neue Hollywood-Silhouette – elegant und weiblich.
Bis zu ihrem Lebensende blieb Audrey Hepburn trotz schwerer Krankheit sozial engagiert und wirkte als hoch ambitionierte Sonderbotschafterin des UN-Kinderhilfswerks Unicef.
Rolf Liffers