Nach dreijähriger Pause hatte die französische Schriftstellerin Emma Becker in diesem Herbst reichlich Grund zur erneuten Teilnahme an der „Fête du Livre“ in Toulon an der Côte d’Azur.
Erstens, weil ihr damals noch druckfrischer Roman „La Maison“, den sie dort bei der Buchmesse 2019 vorgestellt hatte, inzwischen zum Bestseller geworden ist. Zweitens, weil die Filmfassung in diesem Monat in die Kinos gekommen ist. Drittens, weil soeben ihr neues Buch „L’Inconduite“ („Fehlverhalten“) erschienen ist. Und last not least, weil sie nach über zehn Jahren Berlin den Rücken gekehrt hat und jetzt wieder in ihrem Heimatland lebt – genauer: in Plan-de-la-Tour im Departement Var, also nur einen Steinwurf von Toulon entfernt.
Am Ende sei es für sie in der deutschen Hauptstadt nicht mehr auszuhalten gewesen, überraschte sie mich im Gespräch. Von der uncharmanten, ja, ruppigen Art der sprichwörtlichen Großschnauzen von der Spree habe sie echt die Nase voll gehabt. So sei sie mit Mann und beiden Kindern zu ihrer Mutter an die Côte d’Azur umgezogen, in das Dörfchen Plan-de-la-Tour, praktisch in die Nachbarschaft des seit Jahren zum Verkauf stehenden Millionen-Anwesens von Johnny Depp und Vanessa Paradis.
Die Gegend sei ihr von Kindesbeinen vertraut, sagte die aus dem Weichbild von Paris stammende Wahlprovenzalin. Nirgends in Frankreich sei es für ihren Geschmack schöner als am Golf von Saint-Tropez. Schon als Mädchen habe sie hier regelmäßig die Ferien verbracht, bei ihrem Opa Papounet, der in Saint-Aygulf ein Haus besaß. Später habe sie hier auch ihren Führerschein gemacht und kenne die Region allein dadurch schon wie ihre Westentasche.
Doch – „offen gestanden“ – gibt es auch hier im Süden etwas, was Emma Becker stört. Vom Herbst an sei auch an der Sonnenküste im Var der Hund verfroren. „Alles fällt in Winterschlaf, wenn die Touristen weg sind.“ Daher reise sie zur Abwechslung öfter in große Städte wie Paris oder Brüssel. Überdies habe ihr aus Neuseeland stammender Mann Lenny, der gut Deutsch spricht, noch Schwierigkeiten mit der französischen Sprache. „Er langweilt sich aber trotzdem nicht, weil er – wie zuvor schon in Berlin – Fahrräder repariert.“ Aber für ihn sei eben noch vieles neu und fremd, also muss er wieder ganz von vorn anfangen.
Die 33-jährige Emma Becker (eigentlich Emma Durand) selbst, deren Pseudonym sich vom Nachnamen Pannebecker ihrer deutschen Großmutter ableitet, ist derweil gut beschäftigt. Ihr neuer Roman soll im nächsten Frühling erscheinen. Einzelheiten des Inhalts will die Autorin noch nicht preisgeben. „Daher nur so viel: Die Freiheit der Frauen bleibt mein Thema.“
Die Autorin hat bei Flammarion bereits zwei ziemlich gewagte Bücher publiziert, die sich auf eigene Erfahrungen stützen. Das erste – „Monsieur“ von 2013 – handelt von einer sehr jungen Frau, die offenherzig ihre Liebesbeziehung zu einem 30 Jahre älteren Mann schildert. Das erwähnte zweite („La Maison“ – Prix Roman) schildert Beckers Eindrücke vom Alltag in zwei Berliner Bordellen, in denen sie – damals erst knapp über 20 – zweieinhalb Jahre freiwillig als Prostituierte arbeitete, um das Milieu sozusagen am eigenen Leibe und folglich authentischer darstellen zu können. „Literatur verlangt Wahrheit“, sei ihre Devise.
Für "La Maison" arbeitete sie als Prostituierte
„La Maison“ (2020 bei Rowohlt auf Deutsch erschienen) machte in Frankreich schwer Furore. Die Idee zu dem Buch sei ihr „auf der Danziger Straße“ in Berlin gekommen, erzählt Becker. Sie sah dort ein Bordell, und ihr sei plötzlich bewusst geworden, dass Freudenhäuser in ihrer Heimat ja verboten sind. „Umso mehr hat es mich gereizt, hinter die Kulissen zu schauen.“ Aber nicht einfach als Beobachterin, sondern als Sexarbeiterin im Selbstversuch. Denn von außen könne man Literatur einfach nicht machen. „Um zu verstehen, was dieser Beruf mit deinem Körper und deiner Seele macht, wollte ich selbst ein Teil dieser Frauen sein.“
Was Emma Becker dabei gelernt hat? „Überall, wo Prostitution legal ist, geht es den putes deutlich besser als im Untergrund. Die ganze Welt liebt Sex“, hat sie erfahren. „Ein Unding also, die Prostitution untersagen zu wollen. Da müsste man ja zunächst die Lust der Männer auf die Frauen abschaffen.“
„Natürlich gibt es auch im legalen Rotlichtmilieu unglückliche Prostituierte“, räumte sie ein. „Es gibt aber eben auch glückliche, und von denen kann man lernen, wie man Zwangsprostitution verhindert.“ Dazu gehöre erst einmal, Bordelle zu dulden. Und es müsse mit falschen Klischees aufgeräumt werden. „Viele Freier sind keine rücksichtslosen Sexkäufer, sondern sensible Menschen, die eher von der Hure abhängig sind als umgekehrt. Und Männer sind manchmal viel respektvoller und einfühlsamer im Freudenhaus als im normalen Alltag.“
„L’Inconduite“ sei ihr bisher persönlichstes Buch, verglich Emma Becker. „Es geht wieder ums Verlangen, um Beziehungen zu Männern und zu sich selbst und natürlich um Sex.“ So beschreibt sie ihre Unfähigkeit, in meinen Beziehungen zu Männern wenigstens manchmal die Oberhand zu gewinnen und – “wie ich versuche, dies durch Schreiben zu erreichen“.
Keineswegs aber halte sie sich für jemanden, zu dem man aufschauen kann, wenn es darum gehe, gesunde oder lohnende sexuelle oder sentimentale Beziehungen aufzubauen und zu unterhalten. Sie neige viel eher dazu, „Fiaskos darzustellen, die mir dieses Scheitern genau erklären“. Mit Patentrezepten könne sie also nicht dienen. Sie würde sich aber freuen, “wenn sich Männer und Frauen in meinen Texten trotzdem wiederfänden”.
Zunächst aber sei das Buch erst einmal ein bescheidener Versuch, sich selbst zu verstehen. Gelernt habe sie dabei immerhin, dass das, „was sie an den Blicken der Männer so sehr liebt“, sie selber sei. Und vor allem, „dass nicht andere, sondern nur wir selbst unsere perfekten eigenen Liebhaber sind“.
Rolf Liffers