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Über 40.000 Besucher der "Fête du Livre" von Toulon wurden jüngst unter der posthumen Patronnage von Marcel Pagnol an das literarische und cineastische Lebenswerk des großen Dichters erinnert. Foto: Rolf Liffers

Ganz Frankreich feiert Marcel Pagnol, nur Marseille darf nicht mitmachen

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte! Im vorliegenden Fall – im 50. Todesjahr des provenzalischen Kultautors Marcel Pagnol („Eine Kindheit in der Provence“) – sind es gleich mehre Städte und Gemeinden in Südfrankreich, die von einem erbitterten Zwist des Enkels und Alleinerben des Dichters, Nicolas Pagnol, mit der Stadtregierung von Marseille profitieren. Auf dem Gipfel der Psychodramas hatte der 51-jährige Inhaber aller Verwertungsrechte am großväterlichen Werk der Metropole verboten, sich auch nur mit dem Namen seines Opas, geschweige denn mit öffentlichen Veranstaltungen zu schmücken. Parallel dazu klagt er wegen Beleidigung, Verunglimpfung und übler Nachrede gegen den Bürgermeister und seine Dezernenten. Dabei hatte er vor den Querelen noch geplant, das Jubiläum in der Hafenstadt ganz groß zu begehen. Nun aber finden die Feierlichkeiten nicht im legendären Marseiller Château de La Buzine (alias „Das Schloss meiner Mutter“) statt, sondern bereits seit Monaten dezentralisiert zwischen dem kleinen Allauch und Monaco, Paris und La Rochelle. Von Rolf Liffers

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Zuletzt war es Ende November das Departement Var, das die unverhoffte Gunst der Stunde für sich nutzte und Marcel Pagnol demonstrativ aufs Podest hob, indem es ihm die Ehrenpatronage über die „Fête du livre“ in Toulon übertrug. So erhielten über 40.000 Besucher der Buchmesse Gelegenheit, dem international bekannten Erfolgsautor, Dramatiker und Filmregisseur, Übersetzer und Essayisten auf jede nur erdenkliche Weise zu huldigen.

Von den Querelen in Marseille, wo Pagnol zur Schule gegangen war und 1931 eine Filmproduktionsgesellschaft gegründet hatte mit dem Ziel, ein kleines französisches Hollywood zu schaffen, natürlich kein Wort. Vielmehr hieß es von Seiten des Veranstalters scheinbar arglos, die Absicht des Künstlers sei es stets gewesen, „die Freiheit des Schaffens zu erkunden“, und das habe nur zu gut zum aktuellen Motto der „Fête“ gepasst: „Liberté„.

Im Zentrum der Messehalle hatte man ein Carée mit Bildern und Texten von Pagnol aufgestellt. An mehreren Verlagsständen stapelten sich Neuerscheinungen seiner Bücher, die mit heiteren Cartoons  von (Jean-Jacques) Sempé auf dem Einband zum Blättern und Lesen anregten. Jenem 2022 in Draguignan im Var verstorbenen Karikaturisten Sempé, der zusammen mit René Goscinny („Asterix“) die Kinderbuchreihe „Der kleine Nick“ zu Weltruhm geführt hat.

Monaco ehrt Pagnol mit Sondermarke

Das Fürstentum Monaco brachte zu Ehren Pagnols und seines Freundes Prinz Pierre (1895-1964), Vater von Fürst Rainier III., ein Sondermarken-Duo heraus. Foto: Pressestelle Fürstenhaus

Mit einem ersten Paukenschlag auf Initiative des regierenden Fürsten Albert II. hatte das Fürstentum Monaco bereits im Frühjahr den Reigen der Hommages eröffnet. Unter Hinweis darauf, dass der Autor hier von 1951 bis 1954 gelebt hatte, wurde er in einer Verlautbarung des Fürstenhauses inoffiziell zum Ehrenbürger („Pagnol le Monégasque“) erklärt. An seinem damaligen Haus, der Villa „La Lestra“ in Monte-Carlo (12, Boulevard des Moulins), wurde eine Gedenktafel enthüllt. Parallel dazu erschien eine Doppel-Sonderbriefmarke zur Erinnerung an den Schriftsteller sowie seinen engen Freund, Prinz Pierre de Monaco (1895-1964), einst Ehemann von Erbprinzessin Charlotte von Monaco, aus deren Verbindung Fürst Rainier III. hervorgegangen war.

Nach Angaben der Staatsregierung war es Albert II. beim Gedenken besonders darum getan, die Jugend seines Landes mit Pagnols Werk vertraut zu machen. Viele Schüler waren daher auch zur öffentlichen Feierstunde mit dem Fürsten und Pagnols Enkel vor der Stele auf der Place Marcel Pagnol in den Trocadero-Gärten kutschiert worden. Die monegassischen Kultureinrichtungen überschlugen sich förmlich mit Einzelinitiativen – Vorträgen, Lesungen sowie Theater- und Filmvorführungen, darunter eine restaurierte Fassung des Films „La femme du boulanger“, den Pagnol 1938 im Dörfchen Le Castellet im Var gedreht hatte. 1946 wurde er als erster Cineast überhaupt in die erlauchte Académie française berufen. 1961 war Pagnol in Monte-Carlo erster Präsident des damals gegründeten, noch heute jährlich zelebrierten „Festival de Télévision“.

Friedhof La Treille
Auf dem Friedhof von La Treille, wo Marcel Pagnol beigesetzt ist, wurde der Dichter an seinem 50. Todestag mit einer neuen Büste geehrt. Unser Bild zeigt eine Hinweistafel am Eingangstor. Foto: Rolf Liffers

Auf dem Friedhof des winzigen La Treille, etwas östlich von Marseille, wo Pagnols erste große Kindheitsromane spielen und er seine letzte Ruhe fand, verneigten sich Offizielle und private Bewunderer vor dem großen Sohn der Gemeinde, der dort mit seiner Familie regelmäßig abenteuerliche Schulferien verbracht hatte. Seine eigentliche Geburtsstadt aber ist das benachbarte Aubagne, wo die Stadtoberen eine neue Pagnol-Büste enthüllten. Zugleich wurde die Adaption eines bisher unveröffentlichten Textes aus Pagnols Feder („Gaby ou la Belle et l’argent“) als Comic vorgestellt.

Beim Filmfestival in La Rochelle und in der Pariser Cinémathèque fanden Retrospektiven mit zehn restaurierten Pagnolfilmen statt, die jetzt landauf, landab in den Kinos laufen. Außerdem erschien nach Pagnols Buch „Manon des sources“ ein Musical. Geplant ist des Weiteren unter der Regie von Silvain Chomet das animierte Biopic „Les Triplettes de Belleville“.

Pagnol-Museum soll 2026 in Allauch eröffnen

In Allauch am Fuße des Marseille überragenden Bergmassivs Garlaban, wo Pagnol seine ersten Schritte als Filmproduzent getan hatte, wird fieberhaft am vier Millionen Euro teuren Umbau eines ausgedienten Elektrizitätswerks gearbeitet, in dem 2026 das erste Pagnol-Museum überhaupt eröffnet werden soll. Bürgermeister Lionel de Cala geht davon aus, dass das „Instrument mit Strahlkraft“ jährlich bis zu 100.000 Besucher anlocken wird. Freimütig räumt er ein, dass auch dieses Projekt durch die Kontroverse zwischen Marseille und Nicolas Pagnol begünstigt worden ist. Überdies habe es dieser Rückenwind seiner Gemeinde erleichtert, der mächtigen Nachbarstadt die Dreharbeiten für die Serie „Plus belle la vie“ abspenstig zu machen.

Ausgeschlossen von dem facettenreichen Strauß an Jubiläumsveranstaltungen bleibt vorerst also ausgerechnet Marseille – obwohl Schauplatz der Filmtrilogie „Marius“, „Fanny“ und „César“, die in den 1930er-Jahren den internationalen Aufstieg des jungen Autors begründet hatte. Ja, der oft als Heimatdichter verniedlichte Pagnol ist nicht nur in Europa, sondern auch in Asien und Übersee, in China und den USA „gefressen“ worden.

Die Stadtväter von Marseille haben offenbar die Hoffnung auf einen Burgfrieden nicht aufgegeben. „Im Gegenteil: Wir planen sogar ein ganzes Bündel völlig kostenloser Gedenkfeiern“, verrät Vize-Kulturdezernent Jean-Marc Coppola, ohne jedoch Details nennen zu wollen. „Denn Pagnols Werke sind nicht gemeinfrei“, bedauerte er. Und daher müsse das Rathaus vorsichtig sein. Und man habe sich deshalb vorgenommen, „Polemiken und Streitereien tunlichst zu vermeiden“.

Zur Unterstützung und um Zeit und Abstand zu gewinnen, hat die Region Provence-Alpes-Côte d’Azur (Sud – PACA) die Jubiläums-Pagnolade inzwischen auf drei Jahre gestreckt. Die Schirmherrschaft hat Nicolas Pagnol (!) übernommen. Regionalpräsident Renaud Muselier verspricht sich von der Idee eine bessere Chance, den schwelenden (Zitat:) „kulturellen, literarischen und politischen Skandal“ endgültig beilegen zu können.

Noch aber ist in der Groteske das Kriegsbeil nicht begraben. Nicolas Pagnol ist weiterhin sauer, weil ihm Marseille den Stuhl vor die Tür des zwischen Aubagne und Allauch liegenden Château de La Buzine“ gesetzt hat, woraufhin er mit allem, was an seinnr Großvater erinnern könnte, ausgezogen ist.

Marcel Pagnol hatte das pompöse Anwesen 1941 erworben, um dort – wie gesagt – eine Filmstadt nach dem Vorbild Hollywoods zu gründen. Doch hatten ihm die deutschen Besatzer einen Strich durch die Rechnung gemacht. Anfang der Siebzigerjahre hatte Pagnol das „Schloss seiner Mutter“ dann an einen Bauträger verkauft. 1995 hatte es die Stadt Marseille erworben und Nicolas Pagnol als Verwalter eingesetzt, der von dort die Rechte an den Werken seines Großvater vermarktete und die „Maison des Cinématographies de la Méditerranée“ leitete. Bis die Stadt Marseille dem Geschäftsmann wegen angeblichen Eigenbedarfs kündigte, der die Behauptung für einen Vorwand hält, dass dort ein Arbeiterkulturzentrum („Centre de Culture Ouvrière“) eingerichtet werden soll.

Pagnol im Mittelpunkt des Dokumentarfilm-Festivals im Var

Wie wir soeben erfahren, wird Marcel Pagnol auch im Mittelpunkt des 2. Dokumentarfilm-Festivals des Departements Var stehen, das sich vom 7. Januar bis zum 28. Februar 2025 in den Nachbargemeinden Carqueiranne, La Valette, Le Pradet, Draguignan und Toulon abspielt und unter der Schirmherrschaft von Nicolas Pagnol steht.

Nach Angaben des Veranstalters („Association Quattrocento„) wird unter anderem der Streifen „Insel des Lichts: Korsika“ gezeigt, den Pagnol unter der Regie von Georges Drouet produziert hatte. Außerdem wird der Film „Les Trésors de Marcel Pagnol“ aufgeführt, der das ganze Leben des Dichters, dem Fabrice Luchini seine Stimme leiht, Revue passieren lässt. Quattrocento-Sprecher Alex Ferraris, der das Biopic schon gesehen hat, musste danach gerührt schlucken: „Ich hatte Tränen in den Augen.“

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