Auch die Côte d’Azur trauert um Quincy Jones. Hier hatte der in diesem Monat mit 91 Jahren verstorbene erfolgreichste Musikverleger der Welt viele Freunde: In Saint-Paul-de-Vence, in Saint-Jean-Cap-Ferrat, in Saint-Tropez. Am engsten war der schwarze Amerikaner mit dem Ehepaar Caroline und Eddie Barclay verbandelt, den Gründern eines ebenfalls international agierenden Musik-Labels („Barclay-Records“, Paris), die er jährlich in deren „Villa du Cap“ über der Plage de Pampelonne in Ramatuelle besuchte.
Von Rolf Liffers
Jones produzierte neben ungezählten anderen Hits das mit 70 Millionen Platten meistverkaufte Album aller Zeiten, Michael Jacksons „Thriller“, sowie die internationale Hymne gegen den Hunger „We are the World“, die allein 50 Millionen Dollar einspielte.
Musik-Titan Barclay, der u.a. Mireille Mathieu und Dalida entdeckte, war also quasi das französische Pendant zu Jones. Er presste in Riesenauflagen Singles- und LPs – mit Eddie Constantine, Brigitte Bardot, Jacques Brel, Francoise Hardy, Juliette Gréco, Eddy Mitchell, der Kelly Family und Johnny Hallyday, um nur einige wenige zu nennen.
Viele der von den Barclays unters Volk gebrachten Bestseller führten oftmals wochenlang die Charts an. Dadurch wurde ihre Firma zum führenden Platten-Label des Hexagons. Eddie starb bereits 2005 und ist auf dem Friedhof von Saint-Tropez unter stilisierten Langspielplatten seines Labels beerdigt, aus denen die Namen seiner Künstler ausgestanzt sind.
Er war aber nicht nur ein großer Liebhaber von Chansons. Sein Herz schlug nicht weniger für den Jazz. Auch auf diesem Gebiet hatte er fast alle Größen am Start, nahm mit Louis Armstrong, Chet Baker, Kenny Clarke, Django Reinhardt und Boris Vian etliche Erfolgstitel auf. Und seine Frau Caroline zog schließlich auch noch Quincy Jones an Land, der als junger Trompeter bei einem Gastspiel von Lionel Hamptons Band in Paris aufgetreten war und den sie danach kurzerhand zum musikalischen Leiter von Barclay ernannte.
Noch 2023 hat Barclays Witwe den treuen Weggefährten in Los Angeles besucht. Da hatte Quincy, wie sie schilderte, körperlich bereits stark abgebaut und nicht mehr die Kraft, ins ferne Ramatuelle zu reisen. In seinem Haus im Promi-Stadtteil Bel Air durchstöberten die beiden zur Erinnerung an glücklichere Tage „Tausende von Fotos“. Entsprechend erschüttert musste die jetzt 58-jährige Caroline vom Tod des Freundes erfahren, den sie seit 1988 kannte. „Er hat uns jedes Jahr hier im Var besucht, meist im Zusammenhang mit dem Jazzfestival von Montreux, dessen Koproduzent er war. Manchmal blieb er eine, manchmal auch vier Wochen bei uns.“ Abends habe ihn meist der Hafer gestochen, schilderte sie. „Dann machten wir in feucht-fröhlichen Nächten die einschlägigen Bars von Saint-Tropez unsicher“, worüber viele aus der Szene heute noch gern Anekdoten erzählen. „Sie alle haben den stets gut aufgelegten Gast aus den USA geschätzt und geliebt, auch, weil er keinerlei Starallüren hatte, also sehr nahbar war.“
Neben der Musik hatten Eddie Barclay und Quincy Jones noch eine weitere Gemeinsamkeit: Beide waren große Frauenhelden. Eddie war achtmal verheiratet, Quincy, der durchaus auch Caroline Augen gemacht haben soll, hatte Kinder aus mindestens fünf Beziehungen. Trotzdem galt er als liebevoller und vorbildlicher Vater. 1988 hieß Eddies neue Braut Caroline. In Saint-Tropez wurde eine rauschende Hochzeit gefeiert – mit 1200 geladenen Gästen. Gefeiert wurde überhaupt sehr viel in der „Villa du Cap“, wohin Quincy immer neue Gäste anschleppte, meist Künstlerfreunde, darunter Jack Nicholson, Liza Minelli und Elton John. Im Gegenzug stellten ihm die Barclays Pablo Picasso und Brigitte Bardot vor.
Nach elf Jahren ging die letzte Barclaysche Ehe dennoch den Bach runter. Caroline wurde sodann ein Techtelmechtel mit Gérard Depardieu nachgesagt, für den sie auch noch heute ihre Hand ins Feuer legt, insbesondere wenn es um die aktuellen Vorwürfe sexueller Übergriffe geht, wegen derer der Filmstar im nächsten Frühjahr vor Gericht stehen wird.
Eddie Barclay liebte Amerika, Quincy Jones die französische Lebensart. Obwohl er als Chicagoer (nach eigenen Worten) „milieubedingt eigentlich Gangster“ hatte werden wollen, kam durch einen Zufall alles ganz anders, wodurch er endgültig sein Herz für die Musik entdeckte. 1957 immatrikulierte er sich am Conservatoire Fontainebleau in Paris und ging bei der renommierten Musikprofessorin Nadia Boulanger in die „Lehre“, zu deren Schülern und Vertrauten einst auch Leonard Bernstein, Maurice Ravel und Igor Strawinsky gehörten.
Paris war es auch, wo Jones erstmals Chef eines eigenen Plattenlabels wurde, das neben vielen anderen Aznavour und Brel betreute. Auch mit Ella Fitzgerald, Count Basie und Ray Charles arbeitete er zusammen und zuletzt mit der inzwischen 44-jährigen französischen Sängerin ZAZ, die in Kürze auch wieder in Deutschland auftreten wird.
Lang ist’s her, seit der Musik-Mogul in Monaco Frank Sinatra kennenlernte, als er bei dessen Auftritt in Monte-Carlo das Begleitorchester leitete. Beide schlossen Freundschaft fürs Leben. Als Jones erstmals Michael Jackson traf, war der spätere Superstar gerade zwölf Jahre alt und suchte einen Produzenten, den er zu seinem Glück in Quincy fand. Später schrieb der multitalentierte Musikverleger auch unvergessliche Soundtracks für Kino- und Fernsehfilme – für Spielbergs „Die Farbe Lila“ zum Beispiel.
In seinem Nachruf hat ihn das „Time Magazine“ als künstlerisch wie politisch „einflussreichsten Jazzmusiker des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Tatsächlich soll er dauerhaft in persönlichem Kontakt zu den US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama gestanden haben. Das gilt nicht minder für den 2019 gestorbenen ehemaligen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, der sich ebenfalls gern und oft in Saint-Tropez aufhielt.