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Horst Hensel, der in Südfrankreich vor Jahrzehnten ein neues Kapitel zur deutschen Literaturgeschichte aufschlug, hat für den IFB Verlag Deutsche Sprache ein neues dreibändiges Buch geschrieben: das Epos “Salz & Eisen”, das im Bürgerkrieg von 1920 spielt.

Liebe Freunde von Azurblau, liebe Leser unseres ersten Monatskehraus,

man möge mir mein folgendes ungeordnetes Geschreibsel verzeihen. Aber die Kulturtafel war in diesem Spätsommer, in dem auch wir von der Nachrichtenredaktion mal richtig und bis zur bitteren Neige blau machen wollten (sozusagen azurblau), derart reich gedeckt, dass wir Ihnen zumindest die Sahnehäubchen nicht vorenthalten wollen und können.

Derlei Kehraus würden wir uns in der Zukunft gern angewöhnen, um Ihnen wenigstens einen Teil der Delikatessen schmackhaft zu machen. Der erste von den unregelmäßig geplanten „Newslettern“ beginnt allerdings mit nicht ganz leichter Kost:

Ruhrgebiets-Revolution und Riviera

Horst Hensel. Foto: privat

Der Romancier Horst Hensel, der in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts durch eine unscheinbare Postkarte aus seinem damaligen Urlaubsort Bormes-les-Mimosas eine danach schier endlose Lawine an Recherchen über prominente deutsche Intellektuelle auf der Flucht vor Hitler lostrat, hat ein neues Buch vorgelegt.

In dem dreibändigen Werk „Salz & Eisen“ bringt er in epischer Breite den weithin unbekannten Bürgerkrieg von 1920 im Ruhrgebiet in Erinnerung. Damals putschte die Reichswehr, um eine Militärdiktatur zu implantieren und die junge Republik in die kaiserliche Vorzeit zurückzuschießen.

Um die Republik zu retten, gingen damals zwölf Millionen Arbeiter und Angestellte zum größten Streik in der deutschen Geschichte auf die Barrikaden. 50.000 griffen zu den Waffen, um die Reichswehr endgültig zu entmachten und der Revolution von 1918/19 zum Durchbruch zu verhelfen. Doch am Ende scheiterte die „Rote Ruhrarmee“ im Kampf gegen jene reaktionären Kräfte der „Militärjunta“, die schließlich zum mörderischen Dritten Reich führten.

Wie die schon vom Thema her nicht gerade bestsellerverdächtige Trilogie von der Öffentlichkeit aufgenommen wird, bleibt abzuwarten, zumal das geschichtliche Ereignis (Stichwort „Kapp-Putsch“) weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Wie immer das Drama aus Sieg und Verrat, Liebe und Tod auch einschlagen wird: Allein für seine Initialzündung bei der im Hexagon (durchaus nicht versehentlich) so lang verschleppten Aufarbeitung der Judenverfolgung durch kollaborative Franzosen, insbesondere in Pétains Vichy-Staat im von den Deutschen unbesetzten Südfrankreich, gebührt dem inzwischen 77-jährigen Westfalen ein Verdienstorden.

Hensels zuerst in der damals in Nizza erscheinenden Riviera-Côte d’Azur-Zeitung (RCZ) vermeldeter Hinweis, der Schriftsteller Alfred Kantorowitz habe sich nach dem verlorenen Spanischen Bürgerkrieg (1939) in Bormes versteckt gehalten, mobilisierte in den folgenden Jahrzehnten „Heere“ von neugierigen Journalisten, Germanisten, Historikern und Romanisten als Impuls, sich an die Fersen der verfemten und verbrannten Dichter zu heften – hinzu kamen ungezählte Studierende auf der Suche nach spannenden und bis dahin praktisch unerschlossenen Themen für Examensarbeiten und Dissertationen.

Was hat nun das eine mit dem anderen zu tun, könnte man fragen. Die Antwort ist einfach: Ohne den verlorenen Ruhrkampf, den Hensel auf über tausend Seiten nachzeichnet, hätte es kein 1933 gegeben mit Machtübernahme, Bücherverbrennung, dem Exodus deutschen Geistes und schon gar keinen Weltkrieg. Erst Hensel öffnet dem erstaunten Leser von heute die Augen über die ineinandergreifenden zeitgeschichtlichen Zusammenhänge. Und dabei geht er vor wie schon in seinen vorangegangenen historischen Romanen („Die Sehnsucht der Rosa Luxemburg“, „Stauffenbergs Asche“). Er veranschaulicht die komplizierten Vorgänge aus der Perspektive des Volkes. Seine Helden sind die einfachen Leute jener Tage, also Arbeiter, Handwerker, Lokführer, Krankenschwestern und (nennen wir sie) Originale, von denen etliche als authentisch verbürgt sind.

Hensel ist ein bei der Quellenforschung bis an den Rand der Pedanterie scharf beobachtender, selbstkritischer Autor. Er weiß, was er seinem Leser mit dem anstrengenden Lektüremarathon zumutet. Zur Erleichterung der Orientierung hat er seinem Buch eine separate Namensliste der handelnden Personen beigefügt. Dadurch liest sich „Salz & Eisen“ leichter als“ Krieg und Frieden“, vergleicht Oliver Baer vom „Verein Deutsche Sprache“.

Konsequent ist Hensel nicht nur, was seinen eigenen Qualitätsanspruch angeht. Standhaft streitet er trotz starkem Gegenwind von links seit Jahren an vorderster Front gegen die Unterwanderung der deutschen Sprache durch die Flut überflüssiger Anglizismen. Auch das grassierende Gendern würde er gern eindämmen. Das weckt bei einzelnen den Argwohn von einer gewissen Nähe zur AfD, deren populistische Mitglieder nur allzu gern auf den überparteilichen Puristen-Zug aufspringen würden, um sich als bürgerlich zu tarnen. Ausgerechnet bei Hensel kommen sie damit weißgott an die falsche Adresse: Tatsächlich ist der gelernte Schulpädagoge von jung an bekennender Sozialdemokrat, der nach eigenen Worten „die deutsche Literatur und Sprache pflegen“ will, nichts sonst.

Exilliteraten in Südfrankreich

Zurück zur Exilliteratur und der massenhaften Flucht deutscher Schriftsteller an die französische Riviera: Soeben hat der Journalist Uwe Wittstock mit seinem Buch „Marseille 1940“ einen Beitrag über (Zitat Wittstock:) „das dramatischste Jahr der deutschen Literaturgeschichte“ geschrieben.

Darüber wollen wir in unserem nächsten Brief an unsere Leser ebenso reden wie über „Côte d’Azur – Das große Blau“ von Katja Eichinger, der in Cannes lebenden Witwe des 2011 verstorbenen großen Filmregisseurs Bernd Eichinger.

Zu berichten sein wird zudem von einer berühmten „Berufspendlerin“ zwischen Paris, Cannes, Venedig und – Duisburg-Meiderich. Die Rede ist von keiner Geringeren als von Isabelle Huppert, dem 71-jährigen Energiebündel in Mädchengestalt, das wir während der sommerlichen Ruhrtriennale 2024 – und hier schließt sich ein weiterer Kreis – im einstigen Steinkohlenrevier Westfalens als Racines „Berenice“ persönlich erlebt haben.

Rolf Liffers

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